Joe R. Landsdale hat einen wunderbaren Adoleszenzroman geschrieben, der - wie
das offensichtliche Vorbild von Harper Lees: "Wer die Nachtigall
stört" (ebenfalls wunderbar) in den Südstaaten der USA in den Jahren 1933
und 1934 spielt, also zu jener Zeit der großen Depression, bevor die
Reformmaßnahmen des neu ins Amt gekommenen Präsidenten Franklin D. Roosevelt
mit seinem "New Deal" anfingen, zu wirken.
Protagonist ist der zu jener Zeit elfjährige Harry, der - nun im Altersheim -
in einer Art Rückblick die Ereignisse jener Zeit erzählt. Am Ufer macht er
zusammen mit seiner Schwester Tom(alia) eine furchtbare Entdeckung: er findet
eine mit Stacheldraht an einen Baum gefesselte Leiche einer Schwarzen.
Verdächtig ist der sogenannte Ziegenmann, eine unheimliche mythische Figur, die
im Wald ihr Unwesen zu treiben scheint. Schritt für Schritt müssen die Kinder
die Lösung finden, die sie schließlich - zusammen mit ihrem Vater auch
finden.
Doch dieses Buch ist zwar ein Kriminalroman, aber - wie bei großer Literatur
immer - er ist auch genre-übergreifend. Wie das hervorragende Nachwort von
Volker Neuhaus zu recht konstatiert, lässt sich das Buch, welches der Welt von
Mark Twain und Huckleberry Finn näher ist als unserer heutigen, auf vier Ebenen
lesen: Die "Wälder am Fluss" sind zum einen Adoleszenzroman, also die
Geschichte eines heranwachsenden Jungen, die von ihm selber erzählt wird.
Insofern steht sie in der Tradition von Tom Sawyer, aber auch Harper Lees oben
erwähntem Meisterwerk. In dem Roman geht es um das Ende der Kindheit - die Welt
der Erwachsenen wird erreicht - die frühere unbeschwerte Zeit ist mit der
Entdeckung des Mordes unwiederbringlich verloren. Sodann ist das Buch ein
Gesellschaftsroman, in dem in Anlehnung an Faulkner ein Portrait des Südens und
seiner sozialen Probleme gegeben wird. Der Ku-Klux-Clan terrorisiert die
Südstaaten, die einstmals reichen Farmer aus diesen Staaten verarmen und
müssen nach anhaltenden Missernten und der Depression neue Arbeit suchen, da
sie ihre Hypotheken nicht mehr abzahlen können. Der Roman ist auch - in
Anlehnung an A. Blackwood - ein glänzender Schauerroman mit einer mysteriösen
faszinierenden Gestalt, dem Ziegenmann, im Mittelpunkt, sehr an Algernon
Blackwoods Erzählung: "Der Wendigo" erinnernd. Auf der vierten Ebene
ist es ein veritabler Kriminal- bzw. Detektivroman, bei dem es um die
Aufklärung von Verbrechen geht.
Fazit
Dieses Buch hat mich sehr beeindruckt und gehört zu den besten Romanen, die ich
in letzter Zeit gelesen habe. Auch die Charaktere sind differenziert und
lebensecht gezeichnet. Kurz: ein Meisterwerk! Unbedingt lesen!
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 10. September 2005 2005-09-10 11:03:11