Wer sich ein wenig intensiver mit der deutschen Literatur und ihrer Geschichte
befasst hat, ob in Schule oder Studium, der ist zwangsläufig auf das Thema
Fabeln gestoßen. Einer Gattung, die schon lange vor Christi Geburt bekannt und
gepflegt wurde, die das Mittelalter überlebt hat, ebenso die Zeit der
Aufklärung, große Anhänger fand, immer wieder etwas ausdrücken konnte, was
Autoren und Schriftsteller einer fiktiven menschlichen Figur in der
literarischen Welt nicht unbedingt in den Mund legen konnten. Ja, so ist sie die
Fabel, die Tierdichtung, die Grenzen zu überspringen vermag und bis heute
nichts an Aktualität verloren hat, wenn sie auch bei den Autoren der Moderne
oft in den Hintergrund gerückt ist und teilweise von der Fachliteratur für tot
erklärt wurde.
Ein wunderbares Beispiel für die Lebendigkeit der Fabeldichtung legt Andreas
Schlüter im Gerstenberg-Verlag vor. Schon über den Titel "Wie Hund und
Katz" könnte man Interpretationsansätze ohne Ende finden. Ein altes
deutsches Sprichwort, das ein Fünkchen Wahrheit enthält, aber dann auch wieder
nicht, weil eben das Zusammentreffen von Hund und Katze eben nicht katastrophal
enden muss, sondern durchaus auch freundschaftlich geprägt sein kann - eben so
ganz anders, als es auch ein altes chinesisches Märchen über den Beginn der
Feindschaft dieser beiden Tierarten vermitteln möchte.
Die modernen Fabeln, die Andreas Schlüter hier präsentiert, haben etwas
Liebevolles an sich, bohren die "schlechten" Stellen des menschlichen
Daseins auf, pieksen, sind unbequem, hintersinnig und geheimnisvoll. Mit Hektor,
dem Hund, und Karla, der Katze, erleben die Leser die Angst eines ganzen Dorfes
vor dem gefährlichen Einbrecher, mit Frieda Frechdachs und Stinktier Stefan
wird ihnen hautnah vorgeführt, wie das im Leben mit Mietwucher und
Modernisierungswut ist, und Paul, der Pfau, erkennt fast zu spät, dass es
wichtigere Dinge im Leben gibt als "hippe" Partys und coole
Freunde.
Unerfüllte Wünsche leben in Schlüters Fabeldichtung ebenso auf wie moderne
Neurosen und Sehnsüchte, die kaum zu stillen sind, wie das Werben des
Hängebauchschweins Hermann um die Vollblutstute Venus. Umso erstaunlicher ist
es dann, dass Hermanns Werben Erfolg hat. Und als er den verblüfften Hengst
fragt, ob er wüsste was schön ist, und dieser die Frage verneint, da antwortet
das Hängebauchschwein Hermann: "Eben, das ist dein Problem."
Mit seinen Alliterationen bei der Namensgebung unterstreich Schlüter den
sprachmusikalischen Effekt seiner Dichtung. Wie wunderbar geht ein Name wie
Herbert, der Hase, über die Lippen. Man sieht das Tier fast bildlich vor sich.
Natürlich spielt der Autor ein wenig mit seinem Figureninventar. Typische
Fabelwesen wie der Hase stehen hier neben welchen, die weniger bekannt sind in
der klassischen Fabeldichtung - oder wie die Miesmuschel Manuela bislang wohl
nie zu literarischen Ehren gekommen sind, und trotzdem kann man ihnen anhand des
beschriebenen Handlungsverlaufs der Geschichte gleich gewisse Eigenschaften
zuordnen.
Es sind die Schwächen der modernen Gesellschaft, die Andreas Schlüter,
bildlich unterstützt von Reinhard Michl, vors Auge führt. Einer Gesellschaft,
die so gut oder so schlecht ist wie andere Gesellschaften vor ihr. Und obwohl
man heute hierzulande vieles offen sagen kann, macht es Spaß, die versteckten
Wahrheiten bei Schlüter zu entdecken, der einem quasi den Spiegel vor Augen
führt. Ob man es wahrhaben möchte oder nicht, manche der tierischen
Protagonisten haben Eigenschaften, die manch menschlicher Zeitgenosse durchaus
auch an sich entdecken kann.
Fazit
Wer nun meint, dass diese kleinen Geschichten sich ausschließlich an ein
jüngeres Publikum wenden, der sollte sich einmal auf das "Abenteuer"
Fabel einlassen. Schnell wird er erkennen, dass das Erzählte zeit- und
alterslos ist. Der Schuljunge kann ebenso wie der Senior Teile seines Selbst in
diesen kleinen, teilweise sehr humorvollen Fabeln finden. Und während der eine
Leser die Fabeln durchaus als Schullektüre interessant finden wird - mal etwas
anderes als Lessing oder Äsop - so kann der andere sich zurücklehnen und ganz
frei von allen Zwängen sich auf das moderne Fabelwesen einlassen. Er wird
sicher mehr als überrascht sein, was der Schriftsteller Schlüter hier an allzu
menschlichen Dingen zu Tage fördert. Was das ist? Um es mit Katze Karla zu
sagen: "Das, meine Lieben, muss jeder selbst herausfinden!"
Vorgeschlagen von Martina Meier
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veröffentlicht am 25. August 2005 2005-08-25 21:38:15