Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine außergewöhnliche
Geschwisterbeziehung, die überdies auf eine ganz besonders extreme Art und
Weise von dem Gesundheitszustand der Schwester und den Lebensbedingungen des
Bruders geprägt ist.
Lia ist eine junge Frau um die dreißig. Sie hat eine Krankheit, die erst sehr
spät als Hcnvbm diagnostiziert wird und eine Art Anti-HIV ist. Lias Körper
kämpft also gegen einen Virus, den es gar nicht gibt - einen eingebildeten
Virus sozusagen. Von Tag zu Tag wird klarer, dass sie an diesem Anti-Aids-Virus
sterben wird. Mit ihrem Bruder Sid, einem lethargischen Lebenskünstler der
besonderen Art, lebt sie - so weit es noch geht - die frühkindlichen
Liebesbeweise und Streitereien aus, die die beiden schon als Kinder verbunden
haben.
Lia fühlt sich zudem von Sotiris, der dritten Außenseiterfigur des Romans,
einem etwas verklemmten Krankenpfleger, gequält, für den sie wiederum nur
"die Gestörte von Zimmer Elf" ist. Sie bittet ihren Bruder Sid,
Sotiris für sein Verhalten zu bestrafen.
Dem Bruder gelingt es, sich in das Leben des Krankenpflegers einzuschleichen,
ihm seinen geschwätzigen Papagei aufzuschwätzen, und den lästigen Chinesen,
der Tag und Nacht seine Nummer wählt, an den Krankenpfleger weiterzureichen.
Schließlich landen die beiden Männer sogar in Sotiris' Heimatdorf. Dort kommt
alles anders als geplant: Statt seine Schwester zu rächen, gerät Sid mehr und
mehr in den Sog von Sotiris. Gegen Ende vereitelt Sid sogar den Mord an der
zwölfjährigen Nina, die in Sotiris‘ Heimatdorf die Ferien verbringt. Als
sie bei einem Spaziergang den onanierenden Sotiris überrascht, heckt jener aus
Angst vor der Schande im Dorf einen verrückten Mordplan aus, der - natürlich -
scheitert.
Der Roman besticht durch seine Originalität, seinen tiefschwarzen Humor und
durch die Lust an diversen Absurditäten. Die vier Hauptpersonen sind häufig
sprachlos und demonstrieren dem Leser damit ihre emotionale Hilflosigkeit. Der
ständige Wechsel der Perspektive unterstreicht wie isoliert die Personen im
Grunde sind. Nur die pubertierende Nina rettet sich am Schluss des Romans in
eine bessere Welt. Sie löst ihre Probleme durch das Schreiben, das
Aufschreiben. " Mit meinem Verstand halte ich ein wunderbares
Gleichgewicht. Ich kann schreiben, was mir gefällt."
Ersi Sotiropoulos, 1953 in Patras geboren, lebt als freie Schriftstellerin in
Athen. Sie studierte Kulturelle Anthropologie und arbeitete bei der Griechischen
Botschaft in Rom. Inzwischen lebt sie als freie Schriftstellerin in Athen.
"Bittere Orangen" ist ihr siebtes Buch. Es ist der erste griechische
Roman, der mit den beiden wichtigsten Literaturpreisen des Landes, dem
Griechischen Staatspreis für Literatur und dem Diavaso-Literaturpreis,
ausgezeichnet wurde.
Vorgeschlagen von Heide John
[Profil]
veröffentlicht am 23. August 2005 2005-08-23 17:49:01