Operation Rot-grün: Geschichte eines politischen Abenteuers lautet der Titel
eines Spiegel-Buches, den die Spiegel-Redakteure Matthias Geyer, Dirk Kurbjuweit
und Cordt Schnibben herausgebracht haben. Das Buch erschien vor den aktuellen
Entwicklungen, die durch den Ausgang der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen
ausgelöst wurden. Vermutlich - so der heutige Stand - wird es bald Neuwahlen
geben und die rot-grüne Regierung nach sieben Jahren abgewählt werden. Nun
sind die Reporter durchaus Sympathisanten von rot-grün, wie sie im Vorwort
betonen. "Es hing eine Hoffnungslosigkeit über dem Land [gemeint war 1998,
nach 16 Jahren CDU/FDP-Koalition unter Helmut Kohl, B.N.], die hoffnungsloser
war als Mitte der sechziger Jahre" - so die Autoren. Rot-grün wird von den
Autoren als Generationenprojekt der 1968-ger begriffen. "Solange diese
Generation nicht an der Macht war, hatte sie hohe Ansprüche an alle, die Macht
hatten...Seit die Generation an der Macht ist, muss sie erkennen, dass ihre
Regierung dabei ist, das Land unsozialer, autoritärer und militanter zu machen.
Die Kluft, zwischen denen, die gewählt haben, und denen, die gewählt wurden,
wurde so groß wie nie zuvor in der jüngeren deutschen Geschichte."
Rot-grüne Projekte seien von Terrorismus, Globalisierung und Wirtschaftskrise
zerrieben worden. Das rot-grüne Projekt war in den Augen der Wähler eigentlich
mehr ein kulturelles und ökologisches als ein politisches Projekt. Die
rot-grüne Bundesregierung habe gewusst, dass die deutsche Gesellschaft bei
ihrer Machtübernahme - infolge des Reformstaus nach 16 Jahren Helmut Kohl - in
vielen Bereichen vor großen Problemen stand. Diese seien aber nicht konsequent
angegangen worden. Die sogenannte "Agenda 2010" und die daraus
folgende Politik des Verzichts sei nicht durch Wahlen legitimiert worden, die
Außen- und Friedenspolitik und das Feindbild Stoiber habe 2002 geholfen, die
Wahlen zu gewinnen - so das Vorwort der Autoren. "Wie man den
sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts in Zeiten von
Dauerarbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Wiedervereinigung und Globalisierung
umbaut", sei den Anhängern von rot-grün nicht vermittelt worden. Auch der
Regierung selber fehle es an Konzepten: "EIn Konkzeptionist ist Schröder
nie gewesen", bilanzieren die Autoren im Vorwort (S. 16). Es sei
insbesondere das Verdienst von Außenminister Joschka Fischer gewesen, die
Grünen an die Wirklichkeit herangeholt und zu der Einsicht verholfen zu haben,
dass Pazifismus nicht als Mittel der Außenpolitik eines Nato-Staates tauge.
Im Nachwort heißt es dann, wir hätten Glück gehabt mit dieser Regierung, denn
was wäre passiert, wenn Helmut Kohl noch einmal gewonnen hätte? Kohl - so
vermuten die Autoren - hätte nach Aufdeckung des Spendenskandals 1999
zurücktreten müssen. "Wir sind noch einmal davongekommen. Im Vergleich
mit einer Staatskrise sind sechs Jahre rot-grün eine Annehmlichkeit."
Das Nachwort steht somit schon in einem gewissen Widerspruch zum eher kritischen
Vorwort. Diese von mir zitierten Äußerungen sind aber so gut wie alles, was es
an Bilanz zur rot-grünen Regierungspolitik gibt.
Der Rest des Buches zeigt in tagebuchartigen journalistischen Skizzen
Ausschnitte aus der Regierungspolitik von rot-grün, etwa den Machtkampf
zwischen Schröder und Lafontaine zum Beginn seiner Amtszeit, die
Auseinandersetzungen bei den Grünen um die Außenpolitik und die
Auseinandersetzung der Regierung Schröder/Fischer mit der Regierung Bush
infolge des Irak-Krieges.
Aber: dies wird alles häppchenweise, skizzenhaft dargestellt. Eine gute Analyse
rot-grüner Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik, wie sie etwa im Bereich der
Außen- und Sicherheitspolitik die Tübinger Politologen Sebastian Harnisch,
Hanns Maull oder Marco Overhaus liefern ("DEutschland im Abseits?
Rot-grüne Außenpolitik 1998-2003, Deutsche Sicherheitspolitik: EIne Bilanz der
Regierung Schröder, 2004) findet sich nicht.
Das Werk ist daher relativ oberflächlich. Es sollte wohl relativ schnell auf
den Markt kommen. Es erschöpft sich in der Regel, die Sicht der führenden
Protagonisten im Umgang miteinander darzustellen. Dies ist - sehr provokant
formuliert - Bildzeitungsniveau aber ersetzt keine seriöse Analyse der
rot-grünen Politik, wie sie als Ziel der Publikation im Vorwort und
stellenweise im Nachwort angedeutet wird. Warum rot-grün ein
"Abenteuer" sein soll, wie der Untertitel verrät, wird nicht
ersichtlich. Zu einer fairen, d.h. gerechten Darstellung würde meines Erachtens
auch gehören, dass die Regierung Schröder für lediglich 3 Monate, von ihrem
Amtsantritt am 27. Oktober 1998 bis zu den Hessen-Wahlen im Februar 1999 eine
Mehrheit im Bundesrat und damit uneingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten
hatte. Man mag die rot-grüne Politik für falsch und konzeptionslos halten;
aber wolkige Tagebucheintragungen, die lediglich den Reiz für den Leser
darstellen, bei Entscheidungen dabei gewesen zu sein, ersetzen eben keine
Analyse. Als Beispiel für das eben gesagte seien die beiden Schlusssätze des
Tagebucheintrags vom 26. Oktober 2004 zitiert: "Die Zukunft soll jetzt
wieder Gerhard Schröder sein, nicht Hartz IV. Vor ein paar Tagen ist deshalb
eine neue ANzeige erschienen. Man sieht darauf das Foto eines Bundeskanzlers,
der vorischtig lächelt. Sein Blick ist milde, versöhnlich, ein Kanzler, der
sich seinem Volk annähert". Ich glaube, dies sagt alles.
Fazit
Absolut enttäuschend.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 09. Juli 2005 2005-07-09 18:24:22