Unter der Flut an Büchern über Hitler und den Nationalsozialsozialismus fällt
es zunehmend schwer, brauchbare Ersteinführungen zu finden, die verständlich
geschrieben sind und dennoch auf solide Quellenforschung nicht verzichten. Der
vorliegende Band von Eberhard Jäckel, einem ausgewiesenen Experten auf seinem
Gebiet, besticht durch beide Tatsachen. Inhaltlich ist der Band eine Fortsetzung
von Jäckels bahnbrechender Publikation: "Hitlers Weltanschauung".
Dort wies er nach, dass Hitlers Ideologie eine konsequente Weltanschauung
gewesen ist, die er in seinen beiden Büchern: "Mein Kampf" und in
seinem - lange geheimgehaltenen - zweiten Buch von 1928 entwickelt hat. Die
beiden Hauptziele seiner Ideologie waren die Eroberung von Lebensraum im Osten
und die Vernichtung der Juden.
In diesem Folgeband, der als Fortsetzung zu "Hitlers Weltanschauung"
zu verstehen ist, zeigt Jäckel eindeutig, dass Hitlers Herrschaft konsequent
diese beiden Ziele verwirklicht hat. Hitlers Aufstieg erklärt Jäckel mit der
sogenannten Bonapartismus-Theorie, die bereits Marx und Engels entwickelt
hatten. Da sich weder Demokraten noch Monarchisten nach dem ersten Weltkrieg und
der Revolution von 1918/19 durchsetzen, d.h. die Staatsgewalt erringen konnten,
habe eine dritte Bewegung, die beide Klassen gegeneinander ausgespielt habe, die
nationalsozialistische Hitlerbewegung, 1933 die Herrschaft errungen. Daher habe
Hitler die Chance gehabt, sich zum Diktator oder - den Begriff gebraucht Jäckel
lieber - zum Monokraten aufzuschwingen. Monokratie sei durch totale Abwesenheit
von Kontrollmechanismen gekennzeichnet worden.
Auf rund 130 Seiten zeichnet Jäckel ein genaues Bild über die Bedingungen der
Machtergreifung und über die Folgen von Hitlers Herrschaft auf. Dabei zeigt er
deutlich auf, dass Hitler eine solche Handlungsfreiheit besaß, dass er seine
Ziele - zum Teil auch gegen den Widerstand anderer, etwa der Wehrmacht -
durchsetzen konnte. Als Beispiele nennt er den "Weltanschauungskrieg"
gegen Rußland, den führende Teile der Wehrmacht und Parteiführer nicht
wollten (sie fürchteten einen Zweifrontenkrieg gegen England) und die
planmäßige Vernichtung der Juden, die vermutlich in der 2. Hälfte 1941
entschieden wurde. In Anlehnung an Publikationen von Andreas Hillgruber zeichnet
Jäckel Hitlers Strategie in den Jahren 1940 und 1941 nach, wobei er auf den
Verlauf des Krieges nach dem Angriff auf Rußland nicht weiter eingeht, da das
Ziel Hitlers, seine Weltanschauung auf Biegen und Brechen durchzusetzen, mit dem
Angriff auf Rußland augenscheinlich erreicht worden war.
Leider fehlt eine aus meiner Sicht ganz wichtige Erklärung, die Sebastian
Haffner in seiner Hitler-Biographie geliefert hat. Haffner, der zentrale
Passagen über Hitlers Weltanschauung in seiner Hitler-Biographie von Jäckel
übernommen hat, weist in seinen "Anmerkungen zu Hitler" eindrucksvoll
den Zusammenhang zwischen Scheitern der Ostoffensive, Hitlers Kriegserklärung
an Amerika, seinen sinnlosen Haltebefehlen und der Judenvernichtung nach. Hitler
habe nach dem Scheitern der schnellen Eroberung der Sowjetunion im Winter 1941
gemerkt, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war und sein Traum, die
Weltherrschaft und Lebensraum im Osten zu gewinnen, nicht realisierbar geworden
sei. Hitler habe von da an keine Initiativen mehr zur Kriegsführung entwickelt,
wie dies zwischen 1939 und 1941 der Fall gewesen sei. Er habe aber Zeit
gebraucht zur Verwirklichung seines zweiten Ziels: der Vernichtung der Juden.
Daher die ganzen Haltebefehle. Daher sei auch zu jener Zeit - Herbst 1941 - der
Wille entstanden, die Juden zu töten und den Holocaust durchzuführen. Dies
weist Haffner sehr plausibel nach. Leider kann er keine Quellen benennen.
Jäckel arbeitet hier mit den Methoden des Historikers: er benennt seine
Quellen, in der Regel Dokumente und Akten, also Primärquellen. Dass diese
Methode Hitlers wahre Motive nicht ausreichend enthüllen, da er seine wahren
Absichten nur andeutungsweise auch im engsten Führungskreis bekanntgab, gibt
auch Jäckel in seinem vorliegenden Band zu. Quellenforschung kann insofern nur
dort helfen, wo Quellen in der Lage sind, die wahren Absichten der Diktatoren zu
benennen. Wenn diese - wie Hitler es mit seiner angeblichen
"Friedenspolitik" 1933-1938 tat - ihre wahren Absichten verhüllen,
hilft Quellenforschung nur bedingt, um eine zutreffende Erklärung der
Ereignisse zu gewinnen.
Dennoch: als Ersteinführung gehört dieses Buch - wenn man die obigen
Einschränkungen berücksichtigt, bis heute zum besten, was über Hitlers
Herrschaft geschrieben worden ist. Vergleichbar mit dieser Publikation am
ehesten das Buch: "Hitlers Macht" von Ian Kershaw, der dieses Buch
lange vor seiner voluminösen zweibändigen Hitler-Biographie vorlegte.
Fazit
Das Buch ist als unbedingte Ergänzung zu Jäckels Standardwerk: "Hitlers
Weltanschauung" zu empfehlen. Auch heute noch empfehlenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 26. Juni 2005 2005-06-26 00:39:00