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Solomon Wolkow: Stalin und Schostakowitsch

Stalin und Schostakowitsch

von Solomon Wolkow
Verlag: Propyläen Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Biografie
ISBN-13 978-3-549-07211-1

Preis: 23,40 Euro bei Amazon.de [Stand: 20. November 2024]
Ich habe mit großem Interesse das Buch: Stalin und Schostakowitsch gelesen. Zum einen interessiere ich mich sehr für die russische Geschichte des 20. Jahrhunderts und liebe auch die russische Musik, insbesondere die Werke Schostakowitschs, Chatchaturians und Prokowjews. Nun hatte insbesondere Schostakowitsch in der bisherigen westlichen Presse immer den Ruf eines systemtreuen Künstlers, eines Opportunisten. Als Beleg dafür nannten amerikanische Biographen seine Unterschrift unter einen Brief gegen Andrej Sacharow von 1973, kurz vor dem Tode des Autors.
Dieses Bild eines karrierelosen Opportunisten wird in dieser meisterhaft geschriebenen Biographie seines Mitarbeiters Wolkow gründlich korrigiert. Ich habe - mit Ausnahme von Rybakows: Die Kinder vom Arbat - noch nie ein derart eindrucksvolles Buch über die Situation der Künstler und Schriftsteller im Stalinismus gelesen, wie es in dieser Biographie dargestellt wird. Sie zeigt exemplarisch auch die Leiden des russischen Volkes unter Stalin auf. Außerdem wird die wunderbare Musik Schostakowitschs interpretiert - etwa seine berühmte 10. und 11. Symphonie, die in den Noten versteckte autobiographische Andeutungen enthält. Schostakowitsch habe sich als "Gottesnarr" verstanden, als einer derjenigen Figuren aus der russischen Geschichte, die dem Tyrannen furchtlos die Wahrheit ins Gesicht sagten. Schostakowitsch sei ein Mensch gewesen, der sich "Wie wenige sonst in die Lage und die Erlebnisse eines anderen Menschen oder einer Menschengruppe hineinversetzen" konnte; "das Unrecht, das anderen widerfuhr, litt er fast physisch mit. Diese Mischung aus Sensibilität und Vorstellungsvermögen, die von den Griechen als "sympathein", als Mit-Leiden bezeichnet wurde, hoben viele von Schostakowitschs Freunden als bestimmende Charaktereigenschaften bei ihm hervor." (S. 74). Er erinnert meiner Meinung nach sehr stark an Alexej, den jüngsten von Dostojewskis "Brüdern Karamassow." Es ist, als hätte Dostojewski Schostakowtisch gekannt und als Vorbild für die Charakterzeichnung Alexejs benutzt. Schostakowitschs Verhältnis zu Stalin sei vergleichbar mit dem Verhältnis Puschkins zu Nikolaus I., wie es auch zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen Nikolaus und Stalin gäbe. Dies wird ausführlich in dem interessanten Eingangskapitel "Zaren und Poeten" erläutert. Als Beispiel für den persönlichen Mut des Komponisten hebt Wolkow hervor, dass sich Schostakowitsch bei einer Begegnung mit Stalin sehr für einen nicht anwesenden Musiker einsetzte. Bei ihrer Begegnung anläßlich eines Wettbewerbs um eine neue russische Nationalhymne 1943 heißt es: "Sie musterten sich neugierig: der Staatsführer, mittelgroß, breitschultrig, mit pockennarbigem Gesicht...und der bekannte "ernste" Komponist des Landes, die Brille auf der Nase und die ewig jugendliche Locke in der Stirn..."Ihre Musik ist sehr gut", sagte Stalin zu Schostakowitsch. "Aber was soll ich machen, Alexandrows Lied mit seinem feierlichen Klang passt besser als Hymne." Er drehte sich zu seinen Genossen um: "Ich denke, wir sollten Alexandrows Musik nehmen, und was Schostakowitsch angeht..." An dieser Stelle hielt er inne, und Schostakowitsch dachte..., er würde fortfahren: "..., so bringt ihn auf den Hof hinaus und erschießt ihn." Doch der Diktatur beendete seinen Satz auf andere Weise: "Was Schostakowitsch angeht, so sollte man ihm danken." Dann wandte er sich an Alexandrow, der ebenfalls dort war. "Aber Professor, da stimmt etwas mit der Orchestrierung nicht." Alexandrow begann Ausflüchte zu machen. Die Zeit sei knapp gewesen, und er habe seinem Vertreter, Viktor Knuschewizki, die Orchestrierung überlassen; dieser habe offenbar schlechte Arbeit geleistet. Schostakowitsch explodierte. "Schämen Sie sich, Alexander Wassiljewitsch", fiel er Alexandrow ins Wort. "Sie wissen sehr gut, dass Knuschewitzki ein Meister auf seinem Gebiet ist, ein hervorragender Arrangeur. sie erheben ungerechte Vorwürfe gegen Ihren Untergebenen, und das hinter seinem Rücken, ohne dass er sich wehren kann. Schämen Sie sich!" Stille trat ein. Alle Anwesenden warteten gespannt darauf, wie Stalin auf dieses außergewöhnliche Verhalten reagieren würde. Stalin zog an seiner Pfeife und schaute interessiert zwischen Schostakowitsch und Alexandrow hin und her. Schließlich sagte er: "Wirklich, Professor, das war nicht sehr nett." Schostakowitsch hatte sein Ziel erreicht: Der Angegriffene wurde weder entlassen noch verhaftet...Nachdem die Musiker den Raum verlassen hatten, sagte Stalin zu Molotiw: "Dieser Schostakowisch scheint ein anständiger Mensch zu sein."

So weit die Episode. Das Buch ist ein eindrucksvolles Dokument sowjetischer Kultur- und Musikgeschichte. Das Drama um das Verbot von Schostakowtischs berühmter Oper: "Lady Macbeth von Mzensk, 1934 in Leningrad aufgeführt, durch Stalin 1936, welches auch in der Musik eine eisigere Kulturpolitik ankündigte (in Leningrad war Stalins Rivale Kirow Parteichef, der - vermutlich auf dessen Geheiß - im Dezember 1934 getötet wurde, womit die Stalinschen Säuberungen begannen) wird ausführlich dokumentiert, aber auch das Leiden des Volkes und der Künstler selber. Der Leser erfährt jedoch auch viel über den Charakter Stalins, der es nicht wagte, bestimmte Künstler, etwa Maria Judina, anzurühren, weil er sie als Gottesnarren empfand. Gottesnarren und Zaren waren in der russischen Geschichte unauflösbar miteinander verbunden. "Als ehemaliger Seminarist kannte Stalin die Tradition, und als jemand, der sich in der historischen Erbfolge der russischen Zaren sah, spürte er diese Verbindung deutlich." So verhinderte Stalin aus diesem Grunde die Verhaftung Pasternaks mit den Worten: "Rührt diesen Wolkengucker nicht an." Sie zeigt,wie der Große Terror auch von den Launen des Diktators abhängig war, dessen Tod als Erlösung betrachtet werden konnte (am selben Tag wie Stalin starb im übrigen ein anderer großer Komponist Rußlands, Prokowjew. Auch dessen Beziehung zu Stalin und Schostakowtisch wird in dem Buch hervorragend herausgearbeitet.)

Als Fazit kann man wirklich sagen, dass es in der Tat - wie es auf dem Buchrücken heißt - kaum je in der Kulturgeschichte ein so schicksalhaftes Verhältnis zwischen Potetnat und Künstler gegeben hat wie dasjenige von Stalin und Schostakowitsch. Wolkow versteht es in der Tat meisterhaft, diese Beziehung darzustellen und "sie als Lehrstück von Macht und Kunst vor dem Hintergrund der von Repression und Aufbegehren geprägten russischen Kulturgeschichte zu erzählen."
Fazit
Sicherlich ist dieses Buch - wie viele Rezensenten zu recht festgestellt haben - eines der beeindruckendsten Bücher der letzten Jahre. Mich wird es nicht mehr "loslassen."
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 20. März 2005

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