Im Herbst 1981 macht sich ein gewisser José Saramago, ein noch recht
unbekannter Schriftsteller aus Portugal auf die Reise durch seine Heimat. Einen
Reiseführer hatte sein Verlag von ihm verlangt, doch so etwas wollte er nicht
schreiben. Sein Gegenvorschlag: eine Reise zu machen, ganz nach Lust und Laune,
und die Erinnerungen daran zum Buch zu machen. Gesagt, getan - die
"portugiesische Reise" war geboren.
Saramago setzt sich in sein altes Auto und fährt los. Mehrere Monate ist er
unterwegs, von Osten nach Westen und Norden nach Süden. Mit einer zerknitterten
Landkarte und seiner unstillbaren Neugier bewaffnet, folgt er Wegweisern und
abgelegenen Pfaden, so wie es ihm gerade in den Sinn kommt. Er besucht
abgelegene Dörfer, Großstädte, Adelspaläste, Bischofsresidenzen, und
besichtigt noch mehr Kirchen, Kapellen, Museen und Klöster. Dabei schöpft er,
der sich selbst "der Reisende" nennt, aus einer schier
unerschöpflichen Quelle geschichtlicher und kultureller Hintergründe seines
Landes und verknüpft sie mit den handfestenTatsachen des aktuellen Lebens. Was
ihn neben Architektur und Geschichte besonders interessiert, sind die Personen,
die damit in Beziehung stehen; egal, ob historische Persönlichkeiten, oder die
Menschen, die er trifft, oder auch die Toten, denen er auf einem Friedhof
nachspürt. Er liebt es, mit den Leuten, denen er begegnet, zu sprechen, sie zu
fragen nach ihrer Geschichte, ihrem Leben, nach Wünschen und Ansichten. Auch
sich selber nimmt er nicht aus, seine Gedanken zu allem, was er sieht sprudeln
munter hervor wie ein Bach, der lustig über die Kieselsteine auf dem Grund
hüpft. Er erzählt von der Schwester des Oberkellners Senhor Guerra, die mit
sieben Jahren sterben muß, weil der 25 Kilometer entfernte Arzt mit dem Esel
nicht schnell genug zu erreichen ist, oder vom Soldaten José Jorge, der
hingerichtet wird, weil der Mörder eines jungen Mädchens seine Uniform trägt
- daß der Unglückliche sie verliehen hatte, tut nichts zur Sache. Diese
Anekdoten, die er über und mit diesen Menschen findet, sind es, die Saramagos
portugiesische Reise lesenswert machen und über all die Kirchen, Klöster und
Museen hinwegtrösten. In ihnen lässt sich schon erahnen, wer die zukünftigen
Helden seiner später folgenden Romane sein werden: der kleine Mann von nebenan,
der Unbekannte ohne Namen, der auf seine Art Geschichte schreibt.
Fazit
Was man für dieses Buch braucht, ist eine portugiesische Tugend: patiência...
Geduld. Ganz langsam und schrittchenweise kommt der Leser mit Saramago auf
seiner Reise durch das Portugal von vor 25 Jahren voran, und betritt dabei mit
diesem unzählige kunstgeschichtliche Abzweige. Das geht nur mit Ruhe und Muße
- aber es lohnt sich.
Vorgeschlagen von Annette Rieck
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veröffentlicht am 13. März 2005 2005-03-13 08:25:52