Theodor Fontanes "Stechlin" ist sein Meisterwerk. Er beschreibt hierin
eine vergangene Welt - die Welt um den alten Stechlin, der - obwohl konservativ
in seiner Herkunft - liberal und aufgeklärt denkt. Der kaiserliche
Obrigkeitsstaat ist ihm - völlig im Gegensatz zu seiner Schwester Adelheid -
zuwider. Er steht für Menschenwürde und Humanität. Der Roman selber ist zwar
arm an äußerer Handlung, die sich über sechs Monate erstreckt. Die äußerst
interessanten philosophischen Gespräche sind es, die die Altersweisheit dieses
Buches ausmachen. Das Kaiserreich war eine "Revolution von oben", die
der "weiße Revolutionär" Bismarck schuf. Bismarck hatte - wie viele
seiner Biographen schreiben - als Pragmater keine Visionen - alles war auf den
Augenblick ausgelegt - "Mittel zum Zweck". Bismarck dachte in
Freund-Feind-Kategorien und prägte so nachdrücklich die politische Kultur des
Kaiserreiches. Genau dies hat Fontane immer kritisert. Nicht umsonst ist der
alte Stechlin wohl Fontane selbst - ein "Alter ego" des Autors. In
einem Gespräch kritisiert er Bismarck sehr heftig für seine machiavellistische
Politik: "Alles war für ihn Mittel zum Zweck...Dies war der tiefere Grund
für seinen Sturz" erklärt er. Das Buch ist also nicht nur ein Abgesang
auf eine vergangene Epoche - deren Untergang Fontane hellsichtig vorausgesehen
hat; dieser Roman zeigt für mich auch beispielhaft die politische
obrigkeitsstaatliche Kultur und das Denken im Kaiserreich - er spielt 1895 -
auf. Fontane starb 1898. Sein letztes Werk ist weise und abgeklärt - aber
dennoch auch ungeheuer "politisch", was der Journalist Fontane ja auch
gewesen ist. Für mich ist es sein Meisterwerk.
Fazit
Trotz gewisser Längen auch heute noch lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 29. Dezember 2004 2004-12-29 20:34:00