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Doris Glück: Mundtot. Ich war die Frau eines Gotteskriegers

Mundtot. Ich war die Frau eines Gotteskriegers

von Doris Glück
Verlag: Econ Ullstein List Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-471-78678-9

Preis: 2,23 Euro bei Amazon.de [Stand: 20. November 2024]
Die Macht des Buches

"Sie sollten sich eine Vergangenheit erfinden und das Ganze vergessen", empfiehlt das Bundeskriminalamt im September 2002 der Autorin, nachdem man sie endlich ernst genommen und in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen hatte. "Das will ich nicht," schreibt sie im Prolog ihres gleichsam persönlichen wie politisch brisanten Zeitdokuments. "Ich muss die Wahrheit sagen und sie veröffentlichen, auch wenn es mich aufwühlt, meine Geschichte zu erzählen, und es mir wehtut, die eigene Naivität und Blindheit zuzugeben. Es ist meine Art, den Terror zu bekämpfen."

Der Terror, den sie aus nächster Nähe unfreiwillig miterleben muss, beginnt zunächst wie ein modernes Märchen aus Tausendundeine Nacht: Gutaussehender Ägypter sucht in Bonn Hilfe bei Kontaktanzeige zwecks Heirat einer deutschen Frau, trifft dabei deutsche Frau zwecks Hilfe bei Inserat und bei der Gelegenheit gleich deutsche Frau zum Heiraten. Romanciers und Belletristikern würde allein diese Konstellation für seitenfüllende Herzerweicher genügen. Nicht so der Autorin, die unter dem Pseudonym Doris Glück mit ihrem schonungslosen und ganz realen Erfahrungsbericht sämtliche Märchenseifenblasen von Aladins Wunderlampe zum Platzen bringt. Als Leser begleiten wir sie aus der Perspektive einer deutschen Durchschnittsfrau, die uns mitnimmt auf die Reise einer Verwandlung - und die ist ganz und gar nicht märchenhaft. So verwandelt sich der Flaschengeist erster Verliebtheit - in dem Buch "Omar" genannt - nach nur wenigen Jahren harmonischer Ehe schleichend und allmählich in einen militanten Verfechter des Dshihads, des "heiligen Krieges". Die freiwillige Annahme des islamischen Glaubens seiner Ehefrau Doris, im Zuge dessen sie alsdann unter ihrer muslimischen Identität "Aischa" fungiert (um nicht zu sagen "funktioniert"), kann die Katastrophe nicht aufhalten.

Die Schlinge zieht sich erst allmählich zu. Das ist Bestandteil einer Gehirnwäsche, in der die Frau irgendwann selbst glaubt, alles freiwillig und aus Liebe zu Allah oder zumindest der zu ihrem Ehemann zu tun. So empfindet sie auch den Zwang der Scharia zwar befremdend, arrangiert sich aber mit einem Leben unter schwarzen Schleiern mitten im Bosnienkrieg der 1990er Jahre. Unscharf und aus der Sicht der Stoffschichten des Niqaps vor dem Gesicht erleben auch wir als Leser die rätselhaften Geschehnisse und die Machenschaften Omars als Gotteskrieger, Waffenschieber und Verbindungsmann der Mudshaheddin beim Aufbau eines islamistischen Gottesstaates in Bosnien. "Allein Allahs Wille zählt, und wenn Allah die Gläubigen zum Dshihad in Bosnien auffordert, dann gehorchen wir. Hier werden wir einen reinen muslimischen Staat errichten," antwortet Omar auf die Frage seiner Aischa zum Thema Frieden. Die ist immer noch überzeugt davon, dass sie alle dort im Auftrag einer humanitären Hilfsorganisation für Bosnien aktiv sind. Diese wird im Buch fiktiv und aus juristischen Gründen, wie die Autorin einräumt, HHB (Humanitäre Hilfe für Bosnien) genannt. Real gemeint sein dürfte damit die Saudi High Commission (SHC), unter deren Deckmantel das al-Quaida-Netzwerk weltweit seine Unterwanderung betreibt.

A propos "real": Der Autorin ist nicht nur der Absprung aus dem Terrornetz gelungen - sie hat auch noch den Mut gezeigt, ihre Erlebnisse aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Nicht minder mutig der List-Verlag. Er hat mit dieser Buchveröffentlichung in ein Wespennest gestochen. Presseberichten anlässlich der Erscheinung der Erstauflage im September 2004 zufolge handele es sich beim Ex-Ehemann der Autorin um den heute mit seiner Zweitfrau und fünf Kindern in Deutschland lebenden Reda Seyam, der seit langem von den Kriminalbehörden wegen der mutmaßlichen Finanzierung der Anschläge 2002 auf Bali sowie wegen Verbindungen zum al-Quaida.Netz beobachtet wird.

Noch realer: Im Verlagsprogramm, das im April 2004 gedruckt wurde, hieß der Titel: "Mundtot. Mein Leben mit einem Gotteskrieger". Pseudonym: Regina S. Auch das Cover war anders konzipiert. Es zeigte die verschleierte Frau bis zur Hüfte mit einem Gebäude im Hintergrund. Ebenfalls mysteriös: Die Neuerscheinung wurde auf der Buchmesse 2004 auf dem Stand des Verlags nicht ausgestellt. Eine Verlagssprecherin erklärte auf Nachfrage, der Ex-Ehemann der Autorin (der ja dank der Heirat mit ihr noch die deutsche Staatsangehörigkeit und einen deutschen Pass besitzt) habe diese verklagt. Sowohl Pseudonym als auch Cover und zusätzlich einige Textpassagen mussten geändert werden. Dabei hätte eine simple Google-Recherche genügt, die Identitäten der Protagonisten offen zu legen. Freilich ungleich schwieriger als nach den aktuellen al-Quaida-Zensurversuchen, die dieses Buch in meinen Augen noch brisanter, wertvoller und empfehlenswerter machen!

Vorgeschlagen von Marianne Kestler [Profil]
veröffentlicht am 10. Oktober 2004

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