Wilhelm von Sternburg kann fesselnd erzählen. Dies wird besonders deutlich bei
seinem vorliegenden Werk. Er beschreibt deutsche Geschichte zwischen 1870 und
1990 vom Bismarckreich bis zur Deutschen Wiedervereinigung. Klar und prägnant
skizziert Sternburg in seinem Buch die wichtigsten Entwicklungslinien der
deutschen Geschichte: die verpasste Demokratisierung der "verspäteten
Nation" (Plessner), die - im Gegensatz zum Westen - dazu führte, dass
dauerhaft eine Minderheit im Kaiserreich - Militärs und Junker - das Schicksal
Deutschlands bestimmen konnte. Besonders "Untertanenmentalität" und
obrigkeitsstaatliches Denkenhabe das Verhältnis zwischen unpolitischem
Bürgertum und den Eliten bestimmt. Am Kriegsausbruch 1914 seien die Deutschen
nicht alleine schuld, wohl aber treffe sie eine wichtige Mitschuld.
Die Ursachen des Scheiterns der Weimarer Republik werden korrekt und treffend
dargestellt, wobei Sternburg die antidemokratische Einstellung des zweiten
Reichspräsidenten Weimars, von Hindenburg, ebenso hervorhebt wie mentalitäts-
und geistesgeschichtliche Ursachen ihres Scheiterns. Doch ohne die Inflation und
Weltwirtschaftskrise, die Brüning mit einer Deflationspolitik vergeblich zu
bekämpfen suchte, wäre die Republik von Weimar möglicherweise nicht
gescheitert.
Sehr kurz und kursorisch fällt die Bilanz des Dritten Reiches aus, wobei
Sternburg in Anlehnung an Haffner konstatiert, Weltherrschaft und Vernichtung
der Juden seien Hitlers einzige dauerhafte Ziele gewesen, dem sich alles
unterzuordnen habe. Die Geschichte der Bundesrepublik wird von Adenauer bis Kohl
fortgeführt. Sternburg, politisch der Linken zuneigend, verurteilt Adenauers
einseitige Westintegration, lobt Brandts Ostpolitik und bewertet die Ära Kohl
zwiespältig: es habe einen Wirtschaftsaufschwung gegeben, aber die
Arbeitslosigkeit habe der Kanzler nicht senken können. Seine Leistung liege in
der Außenpolitik.
Das Buch - fesselnd geschrieben - bietet einen ersten Einblick für historisch
Interessierte, ist aber - insbesondere im Vergleich zu Christian Graf Krockows:
Die Deutschen in ihrem Jahrhundert 1890-1990 zu oberflächlich geraten. Geistes-
und Kulturgeschichte kommen eindeutig zu kurz, der Schwerpunkt liegt auf der
relativ knappen Darstellung der Ereignis- und Politikgeschichte. Aber der Autor
erzählt fesselnd. Es gelingt ihm, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen
und seine Literaturliste am Ende zeigt, dass er die wesentliche Fachliteratur
ausgewertet hat, wobei er insbesondere mit konservativen Historikern scharf und
bisweilen polemisch ins Gericht geht.
Fazit
Das Buch ist nicht für Wissenschaftler und Fachhistoriker geeignet, da es für
diesen Kreis zu oberflächlich geraten ist. Diese sind besser bedient mit
Krockows: Die Deutschen in ihrem Jahrhundert 1890-1990, welches denselben Stoff
sehr viel ausführlicher - besonders auf dem Gebiet der Mentalitäts- und
Geistesgeschichte - aufarbeitet. Als erste Einführung jedoch brauchbar.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 02. Oktober 2004 2004-10-02 11:05:40