Nach dem Erscheinen der "Anmerkungen zu Adenauer" von Hans-Peter
Schwarz habe ich Wilhelm von Sternburgs biographischen Essay erneut gelesen und
muss konstatieren: Sternburgs Deutung, obwohl 1987, also vor der
Wiedervereinigung erschienen, hat mich eindeutig mehr überzeugt als Hans-Peter
Schwarz apologetische Bemerkungen.
Sternburgs Feststellung, Adenauer habe aufgrund anti-preußischer Einstellungen
die Wiedervereinigung letztlich nie gewollt, ist besoners nach Veröffentlichung
der russischen Akten nach 1990, auf die Sternburg in seiner 2001 überarbeiteten
Neuauflage eingeht, meines Erachtens korrekt. Nach dem Auffinden des sogenannten
Kirkpatrick-Dokuments vom 16.12.1955 dürfte in der Tat feststehen, dass für
Adenauer Westintegraton eindeutig Vorrang vor der - von diesem nicht
gewünschten - Wiedervereinigung hatte. Sternburgs Feststellungen: "Daß
jeder Schritt zur Westintegration die Grenzpfähle zwischen beiden Teilen
Deutschlands fester einrammte, haben viele Zeitgenossen dieses Kanzlers mit
aller Deutlichkeit gesehen und gesagt...Wie tief er das Scheitern seiner
Deutschlandspolitik...empfunden hat, darauf deutet seine Reaktion auf den Bau
der Berliner Mauer im August 1961 hin. Der Kanzler verstummte...Bis in die
letzten Lebensjahre hinein hat Adenauer versucht, an der Legende seiner
Wiedervereinigungs-Strategie zu stricken. Die "Erinnerungen", nach dem
Abschied aus dem Amt geschrieben...,sind durchzogen von Bekenntnissen zur
"Politik der Stärke", die allein die Sowjetunion zur Umkehr in der
Deutschland-Frage bewegen könne. Die verzweifelten Wiederholungen dieser These
nehmen schon beinahe pathologische Züge an. Er hat vielleicht gespürt, daß
das Urteil der Geschichte über seine Kanzlerschaft gerade in diesem Punkt wenig
schmeichelhaft ausfallen würde. Denn wer die öffentlichen Reden Adenauers
durchblättert,...dem wird deutlich, welch tiefe Unwahrhaftigkeit die politische
Auseinandersetzung der Adenauer-Zeit um die Einheit beherrscht hat. Daß sie
dann ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod doch Wirklichkeit wurde, hatte
weniger mit deutscher Politik als vielmehr mit innersowjetischen Entwicklungen
zu tun."
Genauso war es. Die ungeprüfte Ablehnung der sowjetischen Noten-Offensive von
1952, der sogenannten Stalin-Note von 1952, ist Adenauer - meines Erachtens
völlig zu recht - schon von Paul Sethe, Jakob Kaiser oder Kurt Schumacher zum
Vorwurf gemacht worden. Adenauer-Apologeten wie Schwarz erklären unverdrossen,
letztlich habe Adenauers "Politik der Stärke" ja Erfolg gehabt, nur
habe sich Adenauer eben im Zeitrahmen geirrt: die Sowjetunion sei eben später
zusammengebrochen, als von ihm prognostiziert. Dies stimmt zwar, kann aber keine
Rechtfertigung für Adenauers Umgang mit der Wahrheit - nicht nur in diesem
Punkt - sein. Denken in Freund-Feind-Kategorien, Verächtlichmachung der
politischen Gegner, sein Verhältnis zu den Medien,das Vorgehen des Staates in
der sogenannten "Spiegel"-Affaire: in dieser Biographie werden die
Schattenseiten dieses Politikers deutlich angesprochen, jedoch seine
unbestreitbaren Verdienste ebenso gewürdigt. Seine Bewunderung für die Person
Adenauers verbirgt Sternburg keineswegs.
Fazit
So ist eine gut lesbare Darstellung über den Gründungskanzler erschienen, die
von der feststellbaren Apologetik im Werk von Hans-Peter Schwarz entfernt ist
und meines Erachtens ein zutreffenderes Geschichtsbild der Adenauer-Epoche gibt
als Schwarz' "Anmerkungen" oder dessen umfangreiche zweibändige
Adenauer-Biographie. Daher unbedingt als Ergänzung zu Schwarz'
"Anmerkungen" zu empfehlen. Sehr lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 23. September 2004 2004-09-23 16:24:58