Hans-Peter Schwarz gilt als der Adenauer-Experte der Bundesrepublik Deutschland.
Seine zweibändige Adenauer-Biographie: Adenauer: Der Aufstieg: 1876-1952 und
Adenauer: Der Staatsmann: 1952-1967 ist bahnbrechend.
Aus Anlass einer Umfrage des ZDF, wer nach Meinung der Deutschen der
"größte Deutsche" sei,(die Mehrheit votierte für Adenauer) entstand
dieses - lesenswerte - Buch.
Methodisch erinnert es - und dies ist vom Autor bewußt gemacht - an Sebastian
Haffners: "Anmerkungen zu Hitler". Wie jener es schafft, auf knapp 200
Seiten das Wesentliche zu Hitler zu sagen (meines Erachtens ist Haffners Werk
die bis heute beste deutsche Hitler-Biographie), so eigne sich dessen
"Methodik einer thematisch geordneten Diskussion" auch zur
Entschlüsselung Adenauers, in dem heute bemerkenswert viele, auch junge
Deutsche mit inbegriffen, so etwas wie eine positive Leitfigur sehen.
Den Anspruch, wesentliches zu Leben, Leistungen und Schattenseiten Adenauers
beizutragen, erfüllen diese: "Anmerkungen zu Adenauer" voll und ganz.
Sie sind lesbar und machen deutlich, welche Leistungen dieser Politiker
vollbracht hat: ein völlig zerstörtes Land wieder aufzubauen, ihm
Selbstgefühl und Lebenskraft zu geben. Man darf ja nie vergessen, wie sehr 1945
für Deutschland eine "Stunde Null" gewesen ist - eben nicht nur im
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Bereich, wo alles zerstört war und
wiederaufgebaut werden musste -, sondern eben auch im geistigen, mentalen und
kulturellen Bereich.
Die positiven Aspekte von Werk und Wirkung Adenauers kommen in dieser Biographie
gut zum Ausdruck. Leider jedoch ist Schwarz ein Adenauer-Apologet. Kritische
Seiten der Adenauerschen Persönlichkeit, sein unablässiges Denken in
Feindbildern, die Verteufelung des politischen Gegners, sein autoritäres
Gehabe, etwa in seiner Einstellung zur Pressefreiheit - beispielhaft deutlich
geworden während der "Spiegel-Affäre" wird zwar in dem Kapitel:
"Nachtseiten" durchaus angesprochen, aber eher als Nebensache abgetan:
"Man war überhaupt nicht gut beraten, wenn man auf sein Wort baute"
(S: 175) zitiert Schwarz Arnulf Baring.
Kritischer wird es jedoch, wenn man seine Außenpolitik genauer untersucht. Es
ist Schwarz uneingeschränkt zuzustimmen, wenn Adenauers Ziel der
Westintegration korrekt beschrieben wird. Dass er aber die Wiedervereinigung
ernsthaft anstrebte, wird man - wenn man Adenauers ungeprüfte (!) Ablehnung der
Stalin-Noten 1952 betrachtet - wohl verneinen müssen. Schwarz betont allzu
penetrant, Adenauer habe schließlich doch mit seiner Feststellung: "Wir
müssten die Freiheit der Bundesrepublik erhalten, bis einmal, wann weiß ich
nicht, die Verhältnisse in Russland sich ändern" (S. 139)letztlich doch
mit seiner "Politik der Stärke" recht behalten: "Die
"Verhältnisse in Russland" begannen sich erst unter Gorbatschow ganz
unerwartet zu ändern. Ist somit die Feststellung übertrieben, dass Adenauer in
diesem Punkt letztlich doch recht behalten sollte?" Dies mag zwar sein. Wie
Gregor Schöllgen - auch er eher konservativ - in seiner "Geschichte der
deutschen Außenpolitik" zu recht anmerkt, war eine Wiedervereinigung
aufgrund der "Politik der Stärke" in den 1950-ger und 1960-ger Jahren
nicht realisierbar: "Vorderhand sah es nämlich eher so aus, als behielten
die Kritiker Adenauers recht mit der Vermutung, die Integration der
Bundesrepublik in den Westen und die dadurch erzielte Gleichberechtigung würden
den Weg zu einer Wiedervereinigung gerade versperren." (Gregor Schöllgen:
Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Beck-Verl., 2001, S. 23). Auch
Schwarz erklärt an anderer Stelle eher versteckt: "Da er in einer
Neutralisierungs-lösung den direkten Weg in die Hölle sah, blieb als
theoretisch vorstellbare Möglichkeit nur eine Wiedervereinigung mehr oder
weniger zu den Bedingungen des Westens, vielleicht mit dem Kompromiß einer
Zustimmung Deutschlands zur Oder-Neiße Grenze und zu einem entmilitarisierten
Status der einstigen DDR. Eigentlich konte aber niemand glauben, Adenauer am
wenigstens, die im Weltkrieg immerhin siegreiche Sowjetunion könne den Verlust
ihres Sicherheits-Glacis hinnehmen." (S. 134). Eben genau dies. Insofern
war Adenauer vollkommen bewußt, dass eine Wiedervereinigung nicht möglich war
unter den Bedingungen des Ost-West-Gegensatzes und der weltanschaulichen
Konfrontation beider Supermächte. Mit dieser "Lebenslüge" - wie
Willy Brandt dieses aus seiner Sicht illusionäre Beharren auf der
Wiedervereinigung in Freiheit unter diesen Bedingungen genannt hat - in
Wahlkämpfe gegangen zu sein, hat Anlass zu der Behauptung gegeben - und das
sogenannte "Kirkpatrick-Dokument vom 16.12.1955 beweist dies ziemlich
eindeutig - dass Adenauer wusste, dass er den Deutschen mit seinen artikulierten
Hoffnungen auf diese Vereinigung eine Illusion - oder eben Lebenslüge -
vermittelte: "Er würde von dem Gedanken erschrekct, dass nach seinem
Abtreten von der politischen Bühne eine künftige deutsche Regierung eine
Übereinkunft mit Russland treffen werde auf deutsche Kosten. Demgemäß wäre
er überzeugt, dass die Eingliederung Westdeutschland in den Westen wichtiger
sei als die Vereinigung Deutschlands...Als er mit diese Mitteilung machte,
betnote der Botschafter natürlich...es wäre selbstverständlich ganz
verheerend für seine (=Adenauers) politische Konzeption, wenn diese
Sichtweise....jemals in Deutschland bekannt würde."
Darauf geht Schwarz nicht ein. Und auf seine problematische Einstellung zum
Rechtsstaat - die Spiegel-Affäre ist ein Beispiel - nur als "gelegentlich
recht unkorrekte Methoden" zu verharmlosen, scheint mir nicht korrekt zu
sein.
Fazit
Insofern viel zu kritiklos und apologetisch. Dies ist für mich bei diesem Werk
von Schwarz, das trotz dieser Kritik durch viel Detailwissen besticht, der
entscheidende Kritikpunkt an dieser Biographie. Ansonsten gut lesbar und als
Ersteinführung - brauchbar. Wegen seiner Apologetik sollten für Referate
jedoch unbedingt auch kritischere Adenauer-Biographien, etwa die von Peter Koch,
mit herangezogen werden.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 18. September 2004 2004-09-18 14:23:53