Adam trifft Eva oder Ich trifft Du
Was für ein bedeutungsschwangerer Titel! "Die große Liebe", das sind
die drei Worte, die die meisten Menschen bewegen, die Sehnsucht wecken und -
nicht zuletzt - neugierig machen auf diesen Roman.
Der etwas langatmige Beginn führt einen deutschen Fernsehredakteur an die
italienische Adria, weil er dort für einen Film über das Meer recherchieren
möchte. "Ich hatte das Meer einfach vergessen," heißt es,
"jetzt lag es mir wie eine weite Verheißung zu Füßen, unaufdringlich und
groß, als bekäme ich es mit ihm zu tun."
Genauso ist es natürlich auch, obwohl dieser Ansatz ein wenig seltsam anmutet.
Wie kann man das Meer vergessen haben, wenn man beabsichtigt, einen Film über
dieses Thema zu drehen?
Aber der Ich-Erzähler bekommt es wahrhaftig mit dem Meer zu tun - und das sogar
im doppelten Sinne. Er begegnet der Dottoressa Franca, einer Meeresbiologin, die
ein Forschungsinstitut leitet. Ebenso wie der Protagonist liebt die ätherische
Schönheit das Meer, seine Farben, seine Textur und seine Gerüche.
Es ist die berühmte Liebe auf den ersten Blick, von der die beiden schon bei
ihrer ersten Begegnung in Bann gezogen werden. Im Grunde erkennen sie sofort,
dass sie füreinander geschaffen sind. Dieses beinahe biblische Erkennen führt
dazu, dass sie sich über alle äußeren Widerstände hinwegsetzen, um ihre
Liebe leben zu können.
Franca ist allerdings mit ihrem Institutskollegen Gianni Alberti verlobt, mit
dem sie seit ihrer Jugend befreundet ist. Zunächst kämpft Alberti in
italienischer Manier um Franca, indem er den Ich-Erzähler auf ein Boot locken
und dort bedrohen lässt. Auf den 316 Seiten des ansonsten eher handlungsarmen
Romans ist dies das einzige spannungserzeugende Element. Ansonsten fließt die
Geschichte wie so manches Wasser: still, bedächtig und beinahe kontemplativ.
Ortheil führt seine Leser durch San Benedotto, lässt sie an italienischen
Trink- und Essgewohnheiten teilhaben, an alten Traditionen und Ritualen und
beschreibt in aller Ausführlichkeit ein Altargemälde von Carlo Crivelli.
Das alles ist gut und schön - aber ist es ein stilistischer Kunstgriff, wenn
der Leser über weite Teile eines Romans hinweg das Gefühl hat, ein Tagebuch zu
lesen? Es ist schwer zu entscheiden, ob es das Tagebuch eines ungewöhnlich
reifen Mittzwanzigers oder eines eher kindlich gebliebenen Mittvierzigers ist.
Jedenfalls dominiert in diesem Buch das Wörtchen "Ich". Aufgrund
seiner Häufigkeit kommt es störend daher und beeinträchtigt die oft gut
gelungenen Umschreibungen und auch die Ruhe, die sich auf manche Leser
übertragen mag. Mir jedenfalls fehlte das erhebende Moment genauso wie das
Erhabene.
Der Autor Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren und lebt in Stuttgart.
Er gehört zu den bedeutenden deutschen Autoren der Gegenwart und wurde mit
vielen Preisen ausgezeichnet. Er lehrt als Professor für Kreatives Schreiben
und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim.
Fazit
Wäre das die große Liebe, so schiene sie mir doch kleiner als sie in
Wirklichkeit ist...
Vorgeschlagen von Heide John
[Profil]
veröffentlicht am 13. September 2004 2004-09-13 12:15:05