Brachers Buch über die Auflösung der Weimarer Republik erschien im Januar 1955
und entstand zwischen 1951 und 1954. Es ist bis heute die unübertroffene
quellennahe Gesamtdarstellung über die Ursachen der Auflösung der Weimarer
Republik. Mit Hilfe der Strukturanalyse der Politikwissenschaft - die Bracher in
Gegensatz zur damals vorherrschenden reinen ereignisgeschichtlichen Darstellung
wählte und somit zu seiner Zeit die neueren Forschungsmethoden der
Politikwissenschaft in die Geschichtswissenschaft übertrug, zeigt Bracher in
eindrucksvoller analytischer Schärfe die Ursachen des Untergangs von Weimar
auf. Neben obrigkeitsstaatlichem Denken zeigt er eindrucksvoll auf, dass die
Weimarer Republik bereits vor 1930 nach dem Sturz der letzten parlamentarischen
Regierung Hermann Müller kein "Parteienstaat" im heutigen Sinne
gewesen ist. Parteien waren keine Volksparteien, die die gesellschaftlichen
Interessen bündeten, sondern reine Interessenparteien, die als
"extrakonstitutionelle" Gebilde angesehen wurden.
"Überparteiliche" Krisenlösungen, wie sie sich in der raschen
Bildung der ersten Präsidialregierung Brüning dokumentierte, gab es schon vor
1930, bedingt durch die Geringschätzung der Demokratie und des Reichstags, der
als "Schwatzbude" betrachtet wurde. Alle Macht lag beim
Reichspräsidenten, der als "Ersatzkaiser" bezeichnet wurde. Im
semi-präsidiablen Charakter der Republik, den Bracher als ihren
"dualistischen Geburtsfehler" bezeichnet, sieht er die eigentliche
Ursache ihres Scheiterns: "Die Frage, ob nicht erst eine konsequente,
"wirkliche" Revolution anstelle der Parlamentarisierung die Sicherung
der Demokratie in Deutschland ermöglicht hätte, enthält keine brauchbare
Antwort, mit der man von vornherein auch die Krisen und das Scheitern der
Weimarer Republik erklären könnte" (so in seinem Vorwort zur
Taschenbuchausgabe von 1978). "Schuld war nicht das Ausbleiben der
"vollen" Revolution..., sondern vielmehr das Zögern vor der vollen
Parlamentarisierung, vor der eindeutigen Verwirklichung der parteienstaatlichen
Demokratie. neben den Belastungen der Kriegsfolgen und der rechts- wie
linksradikalen Gegnerschaft war es der dualistische Geburtsfehler der Weimarer
Republik, ihre ambivalente Machtstruktur zwischen Parlaments- und
Präsidialsystem, die sich im weiteren Verlauf so verhängnisvoll auswirkte,
nicht die Revolutions- und Rätefrage...Dass die Verbindung repräsentativer und
plesbizitärer Elemente...sich in der Weimarer Fassung nicht bewährt hat,
lag...an der Präsidailkonzheption. Die parlamentsdemokratische Konsequenz, der
Zwang zum Kompromiss ist dadurch verringert worden, dass zwei WEge der Macht-
und Regierungsbildung existierten: dass die Parteien sich ihrer Verantwortung
entziehen konnten, hingegen der Raum für präsidiale Herrschaft erweitert
werden konnte." Als Konsequenz zeigt Brachwer auf, dass die Lösung von
Krisen in nichtparlamentarischen Entscheidungen gesucht wurde. "Eine
Alternative wurde seit 1930 gar nicht mehr versucht, der Zwang zur
Koalitionsbildung entfiel; die Flucht aus einer Verantwortung, die unter den
Bedingungen der Wirtschaftskrise allen schwerfallen musste, hat der ständig
mögliche Ausweg in die Präsidialregierung erleichtert."
Dies sind die zentralen Kernaussagen des Buches. Die These von Brachers
Kritikern, die von einem vorrangigen Versagen des Parteienstaates sprachen,
widerlegt Bracher plausibel, indem er konstatiert, einen solchen Parteienstaat
habe es - aus den oben genannten Gründen - bereits vor 1930 nicht mehr gegeben.
Nicht das Versagen des Parteienstaates, sondern als Folge des
Verfassungs-Dualismus und eines Drangs zur (antiparlamentarischen)
Präsidiallösung, die von einflußreichen Kräften, unter anderem im Palais des
Reichspräsidenten von Hindenburg, spätestens seit 1929 gegen die
parlamentarisch gebildete Regierung der großen Koalition gesucht wurde, ist als
Hauptursache des Scheiterns der Republik anzusehen. Mentalitätsgeschichtliche
Ursachen sind neben obrigkeitsstaatlichem Denken die Aufwertung der Romantik und
Abwertung der französischen Revolution in Folge der napoleonischen
Befreiungskriege von 1813, antidemokratisches Denken in der Republik bei den
Eliten, in Bürokratie und Reichswehr.
Konsequenterweise sieht Bracher in der Bildung der ersten Präsidialregierung
Brüning gegen den Reichstag - im Gegensatz zu Werner Conze - die entscheidende
"Sollbruchstelle", die den Übergang vom parlamentarischen zum
autoritären Staat, welchen dann Nachfolger von Papen offen zu seinem Programm
erklären sollte, markiert.
Logischerweise wird auch die Rolle des Reichspräsidenten von Hindenburg im
Gegensatz etwa zu Hagen Schulze sehr kritisch gesehen. "Hindenburg war an
allen großen Aufgaben gescheitert: als er den ersten Weltkrieg gewinnen, dann
die Republikaner schlagen, jetzt ihre Gegner besiegen, zuletzt die
Hitlerregierung zähmen wollte. Und doch war sein Mythos von Mal zu Mal
gestiegen: Sinnbild der politischen Urteilskraft eines Volkes" (S. 423).
Zu kurz kommt meines Erachtens die Gefährlichkeit und antidemokratische
Einstellung der DNVP. Wenn Bracher als Folge der Reichstagswahl vom Juli 1932,
die der NSDAP 37,8% der Sitze bescherte, betont, zusammen mit der DNVP habe die
Rechte ja lediglich 43% der Stimmen bekommen, so übersieht er, dass diese
Parteien zusammen mit den Kommunisten die absolute Mehrheit der Sitze hatten,
eine "demokratische Lösung" nicht mehr möglich war. Insfofern kann
man mit guten Grunde auch die Ansicht vertreten, die Entlassung Brünings am 31.
Mai 1932 sei die eigentliche "Wende" von Potsdam nach Weimar gewesen,
wie im Vorwort zu dessen 1970 erschienen Memoiren betont wird. Im übrigen
betonen diese Memoiren die Richtigkeit der Feststellung Brachers, bereits
Brüning habe einen demokratischen Ausweg aus der Krise nicht mehr gesucht,
sondern auf monarchische Restauration, also Überwindung der Republik
hingearbeitet, auch wenn die Aussagen der Memoiren als nachträgliche
Eigenstilisierung Brünings in Zweifel gezogen worden sind.
Insgesamt hat Helmut Schmidt in seinem Buch: "Weggefährten"
konstatiert: "Gestützt auf eine Fülle gut recherchierter Tatsachen wurde
hier [in dem vorliegenden Werk, B.N.] zum allerersten Mal in Deutschland
ausführlich und mit großer Sorgfalt vorgetragen, auf welche Weise, durch
wessen Handeln, durch wessen Unterlassugnen und durch wesen Schwäche es
möglich war, dass der erste deutsche Demokratieversuch schon nach einem Dutzend
Jahren scheiterte und Hitler und die Nazis die Macht an sich reißen
konnten....Wenn Bracher sonst kein weiteres Buch mehr geschrieben
hätte....hätte er verdient, in den Orden des Pour le mérite aufgenommen zu
werden."
Fazit
Dieser Feststellung ist nichts hinzuzufügen. Auch nach einem halben Jahrhundert
ist Brachers Werk immer noch die beste Gesamtdarstellungen über die Ursachen
der Auflösung der Weimarer Republik.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 07. September 2004 2004-09-07 21:41:20