Ich habe dieses Buch aus zwei Gründen gelesen. Zum einen wollte ich näheres
über die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen Lafontaines erfahren.
Außerdem wolllte ich über die Gründe seines Rücktritts informiert werden.
Die Darlegungen zu Lafontaines finanzpolitischer Sicht haben mich zwar nicht
überzeugt, sind aber argumentativ plausibel und lehnen sich an
neo-keynisianische Konzepte der Nachfragestärkung im Sinne des amerikanischen
Wirtschaftswissenschaftlers Paul Krugman an, dessen Bücher ebenfalls sehr
argumentativ sind. Was mir bei der Betrachtung dieses Aspekts zu kurz kommt,
ist, dass ein Land alleine eine keynsianische Finanz- und Wirtschaftspolitik,
etwa die Einführung einer Steuer auf Kapitalströme, die sogenannte
Tolbin-Steuer, nicht erheben kann. Lafontaine zeigt, dass für seine
diesbezüglichen Pläne lediglich der japanische Finanzminister Verständnis
gehabt hatte. Aber dennoch ist für diesen Teil zu konstatieren:
Standpunktlosigkeit kann man Lafontaine nicht nachsagen, er weiß, was er will.
Diesen Teil des Buches fand ich interessant, ebenso seine Darstellung und Kritik
am Kosovo-Einsatz der Bundeswehr, der zeigt, dass Lafontaine auch
außenpolitisch auf Distanz zur Regierung Schröder ging.
Plausibel erscheinen mir nach der Lektüre des Buches auch die von Lafontaine
genannten Rücktrittsgründe: es waren tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten
mit Bundeskanzler Schröder über die zu verfolgende Politik. Am Tag vor
Lafontaines Rücktritt hatte Schröder im Kabinett verklausuliert mit seinem
eigenen Abgang gedroht, da mit ihm eine industriefeindliche Politik nicht zu
machen sei. Diese Äußerung, sogleich an die "Bild"-Zeitung lanciert,
war für Lafontaine der Auslöser zu seinem Rücktrittsentschluss. Auch die
Tatsache, dass Lafontaine als Parteivorsitzender abtrat, ist konsequent. Partei-
und Regierugnschef müssen sich nicht lieben, aber harmonisch miteinander
zusammenarbeiten können, um Erfolg zu haben. Dies war nach den Ereignissen vom
März 1999 nicht mehr möglich.
Meine Kritik an dem Buch ist eine ganz andere und hier folge ich Egon Bahr. Mich
ärgert, dass vertrauliche Gespräche Lafontaines mit seinen Politikkollegen
einfach ausgeplaudert werden. Wenn Vertraulichkeit vereinbart wird, müssen sich
alle Seiten daran halten. Der Inhalt der Gespräche wurde von keinem der
beteiligten Politiker dementiert; sie dürften also so, wie Lafontaine sie
schildert, stattgefunden haben. Aber der Bruch der Vertraulichkeit ist für mich
nicht hinnehmbar.
Im übrigen muss ich persönlich anmerken: wenn ein Politiker, wie Lafontaine,
für eine bestimmte Politik steht, so hat er damit auch die Pflicht, für diese
Politik im Sinne derer, die auf ihn hoffen, zu kämpfen. Nach bereits vier
Monaten "hinzuschmeißen", halte ich daher nach wie vor für falsch.
Zumindest hätte Lafontaine ein ausführliches Gespräch mit Schröder suchen
müssen, bevor er seinen Entschluss zum Rücktritt bekannt gab. Lafontaine hatte
mit seinem schlüssig formulierten Politikentwurf ja mit zum Wahlsieg der SPD
beigetragen; zahlreiche Traditionswähler, die er 1998 dazu brachte, SPD zu
wählen, hätten dies ohne ihn und seine Politikvorstellungen nicht getan.
Insofern war meines Erachtens die Vorspiegelung von Gemeinsamkeiten mit Gerhard
Schröder vor der Wahl reine Show; sie entsprach nicht der Wahrheit. Der
Richtungsstreit in der SPD hätte vor den Wahlen ausgetragen werden müssen. An
diesem Versäumnis scheint die SPD heute noch zu leiden, da sie der Politik
Schröders in Bezug auf die Agenda 2010 offensichtlich nur zögernd folgt.
Insofern werfe ich Lafontaine und Schröder vor, mit der Vorspiegelung von
Eintracht zwischen März und September 1998 die Wähler getäuscht zu haben -
aus sicherlich nachvollziehbaren Gründen: Lafontaine sollte die
Traditonswähler, Schröder die Wähler der "Neuen Mitte" einfangen.
Dies ist auch gelungen - aber dann trennte sich, was offenbar nicht
zusammengehörte. Hätte es nicht die Ehrlichkeit geboten, diese Differenzen
schon vor der Wahl 1998 zu benennen?
Ein weiterer Punkt der mich stört: bei aller Plausibilität der Argumente
scheint Lafontaine für Zwischentöne kein Gespür zu entwickeln: nur er scheint
richtig zu liegen, alle anderen falsch. Das Mannschaftsspiel habe nicht
funktioniert, sagt Lafontaine, aber ich habe aus dem Buch den Eindruck gewonnen,
dass Lafontaine selber kein Mannschaftsspieler war: er sagte, wo es lang ging
und die anderen hatten zu folgen. So moniert er, Schröder habe
Kabinettsmitglieder wie Bodo Hombach ohne seine Zustimmung ernannt. Nach dem
Grundgesetz schlägt jedoch der Bundeskanzler, nicht der Vorsitzende einer
Partei, dem Bundespräsidenten die Bundesminister zur Ernennung vor. Es scheint
mir klar, dass Schröder sich dieses Vorrecht von Lafontaine nicht nehmen lassen
wollte. So bleibt bei mir der schaale Eindruck, Lafontaine sei nicht nur wegen
sachpolitischer Differenzen zu Schröder, die im Buch gut herausgearbeitet
werden, zurückgetreten, sondern wegen beleidigter Eitelkeit. Und dies ist sehr
schade, da insbesondere - wie oben erwähnt - die wirtschaftspolitischen und
außenpolitischen Überzeugungen Lafontaines eindringlich und durchaus plausibel
vorgetragen werden. Insofern überwog bei mir nach der Lektüre - bedingt auch
durch einen meines Erachtens vorhandenen - gewissen wehleidigen Ton - ein
Zwiespalt der Gefühle. Ist hier wirkliche Aufklärung über die politischen
Positionen und die Rücktrittsgründe von Lafontaine Ziel des Autors oder
spielen nicht doch Rachegefühle und beleidigte Eitelkeit eine wichtige Rolle
bei der Publikation des Buches? Dies wurde mir leider nicht ganz klar. Letzteres
scheint doch eine Rolle gespielt zu haben und mindert den Wert des ansonsten
durchaus lesenswerten Buches - zumindest aus meiner Sicht.
Fazit
Es bleibt bei mir ein Zwiespalt der Gefühle.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 25. August 2004 2004-08-25 22:43:47