Dieser Roman von Heinz Liepmanns zählt zu den älteren Werken, da er erstmals
1933 von einem deutschen Juden im Exil verfasst wurde. Die besondere Relevanz
des Romans liegt in seiner brisanten Aktualität, die sich angesichts des
zunehmenden Einflusses der AfD und des umstrittenen US-Präsidenten zeigt. Diese
Aktualität vermag durchaus zu beunruhigen. Zur Weihnachtszeit im Jahr 1932
sticht das kleine Fischereischiff mit elf Besatzungsmitgliedern in See, um
Heringe zu fangen. Nach drei Monaten kehrt die "Kulm" schließlich
nach Hamburg in ihren Heimathafen zurück. In der Zwischenzeit wurde Adolf
Hitler Ende Januar zum Reichskanzler ernannt. Die Seeleute kehren in ein
Deutschland zurück, das sich seit ihrer Abreise an Weihnachten stark verändert
hat.
Die Mannschaft der "Kulm" setzt sich aus Mitgliedern mit verschiedenen
sozialen und weltanschaulichen Hintergründen zusammen, darunter
Sozialdemokraten, Kommunisten, Juden und Nationalsozialisten. Diese Differenzen
spielten bisher auf See keine Rolle, da sie alle ihre Pflicht als Seeleute
erfüllen und miteinander auskommen mussten. Die Situation ändert sich jedoch,
als sie sich Hamburg nähern und einen Mann aus dem Wasser retten. In diesem
Roman, in dem es nicht nur einen Protagonisten gibt, werden in verschiedenen,
sehr packenden Episoden die Schicksale einiger Besatzungsmitglieder erzählt.
Nun sind die Nationalsozialisten an der Macht und herrschen mit Gewalt und
Willkür.
Heinz Liepman beschreibt unerbittlich, wie die Besatzungsmitglieder mit den
neuen Machtgefügen konfrontiert werden. Stellenweise sind diese Beschreibungen
sehr schonungslos, insbesondere wenn die Gewaltherrschaft der
Nationalsozialisten dargestellt wird. Neben den schockierenden Begegnungen mit
den Nazis thematisiert der Autor auch die persönlichen Konflikte der
Betroffenen. So wird zum Beispiel die Geschichte eines Mannes erzählt, der eine
Jüdin geheiratet hat und selbst zum Nazi wird, was zu Konsequenzen für die Ehe
führt. Die Frau entscheidet sich dazu, sich scheiden zu lassen, doch selbst der
Anwalt, der sie seit Jahren kennt, verweigert ihr jegliche Hilfe, weil er jetzt
ebenfalls ein Nazi ist. Für die Frau scheint es keinen Ausweg mehr zu geben.
Die Schicksale sind äußerst belastend und im Grunde geht es für jeden der
Betroffenen nur um das nackte Überleben in dieser gewalttätigen und
menschenverachtenden Gesellschaft. Dies könnte auch auf denjenigen angewendet
werden, der rasch zu einem höheren Rang als Verbrecher bei der SA aufgestiegen
ist. Der Schriftsteller, der von 1905 bis 1966 lebte, konnte durch die
Schilderung von Szenen wie dem Erwachen des Hamburger Hafens oder der Fahrt der
"Kulm" die Elbe hinauf, Emotionen bei den Lesern wecken, jenseits des
reinen Handlungsablaufs.
Die Thematik dieses Buches hat mich besonders betroffen und immer wieder in
bestimmten Szenen an die gegenwärtigen Ereignisse in Deutschland und weltweit
erinnert. »Das Vaterland« ist ein aufrüttelnder Roman, der eindringlich vor
Augen führt, was geschehen kann. Seine Erzählungen sind wie ein
Geschichtslektion, die sich jedem tief ins Gedächtnis einprägen sollte.
Der Pendragon Verlag hat diesen Roman erneut veröffentlicht, was großartig
ist. Durch kleine Anpassungen in der Sprache ist er nun auch für junge Leser
gut lesbar. Wilfried Weinke verfasste ein zwanzigseitiges Nachwort, das das
Leben und Werk von Heinz Liepman beschreibt und in den historischen Kontext
einordnet.
Fazit
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ist ein düsteres
Kapitel unserer Geschichte, das auch heute noch Angst und Schrecken auslösen
kann. Die schonungslose Beschreibung der damaligen Ereignisse zeigt, wie das
Schicksal vieler Menschen durch Manipulation und Gewalt beeinflusst wurde. Diese
Geschichten wecken Emotionen und machen die Vergangenheit für uns greifbar.
Durch eine moderat angepasste Sprache wird die Geschichte lebendig und spannend,
auch für heutige Generationen. Die Aktualität dieser Themen ist unbestreitbar
und verlangt danach, dass wir sie nicht vergessen. Offanbar wurden die Lehren
aus der Vergangenheit nicht gezogen. Dabei sollten sie dafür sorgen, dass sich
solche Gräueltaten niemals wiederholen.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
[Profil]
veröffentlicht am 18. März 2025 2025-03-18 08:30:24