Intensiv und doch leger erzählt
"Haben Sie wirklich jemanden umgebracht, Jenny?" - "Habe ich das?
Wie ungezogen".
Was an sich untertrieben wäre, wenn nicht eben jene Jenny knochentrocken, in
der Schwebe zwischen klaren Erinnerungen und dementer Verwirrung sich befinden
würde, aber so einges aus Ihrem Leben zu erzählen weiß, bei dem sich an sich
die Nackenhaare hochstellen würden. Was es zunächst bei Linda Davidson auch
durchaus hervorruft. Die eigentlich nur ihre beste, innigste Freundin und
Lebensgefährtin in diesem privaten Seniorenheim für Demenzerkrankte Personen
zu begleiten gedenkt. Eng und nah.
So setzt der neue Roman von Joy Fielding direkt zu Beginn schon und dann,
erweitert in der Einleitung des Buches, mehrere Themen, die durchaus
existenzielle Bedeutung haben, als rote Linien in die Ereignisse, die langsam,
aber sehr sicher, intensiver, spannender und, am Ende, zu einem fulminanten
Ergebnis führen werden. Da ist einerseits Demenz als Krankheit an sich. Die
Härte, wenn ein Mensch in seinem Leben bereits verschwindet und das Kostbarste
verliert, was das Alter eigentlich noch ausmacht: Die eigenen Erinnerungen. Mehr
und mehr "verschwinden die Menschen aus dem Lebend er 76jährigen Linda
Davidson. Ihr Mann seit einigen Jahren bereits, eine Tochter lebt weit entfernt,
Bekannte, Nachbarn sterben, der Sex ist auch nicht mehr das, was er mal war (oh
ja, auch mit 76 noch kennt Linda Davidson rege Gedanken zumindest noch). Auch
wenn Lorne. Der agile, 80jährige Ehemann ihrer besten Freundin Carol (die sei
nun nur noch selten überhaupt erkennt), da ganz andere und sehr agile
Vorstellungen noch hat.
Schon allein diese zerbrechende Freundschaft, die Probleme der Kosten privater
Heime mit guter Betreuung und das Finden seines eigenen Weges ins hohe Alter
hinein ist emotional dicht und anregend zu lesen. Kommt dann noch hinzu, dass
eine der Bewohnerinnen aus ihrem Herzen nie eine Mördergrube macht und sehr
direkt alles anspricht, was ihr gerade wichtig ist und scheinbar jeden (Vater,
Ehemänner, missliebige Mitbewohner im Heim), dessen Verhalten unerträglich
werden beginnt, ins Jenseits befördert, dann tritt umgehend die ebenfalls
wichtige Frage in den Raum der Seiten, ob dies Münchhausen-Geschichten nun sind
oder tatsächlich diese vertrocknet wirkende 92jährige keine Hemmungen (und vor
allem dazu noch die entsprechenden Mittel) kennt, sich da elegant jener zu
entledigen, deren Verhalten zu bedrängend in den Raum tritt.
Wenn dann auch noch deutlich wird, dass die Ehe der zweiten Tochter, die ihre
Doktorarbeit seit Jahren schreibt, deren Finanzen übersichtlich sind und die
daher mit ihrem Mann im Haus ihrer Mutter untergekommen ist, dass diese Ehe
ebenfalls nicht nur goldene Seiten kennt, sondern Mike, der Mann, gefährliche
Schwierigkeiten mit der Kontrolle seiner inneren Wut aufzeigt, dann finden sich
im Lauf der Ereignisse die Fäden mehr und mehr zusammen. Ereignisse, die durch
die einfache, aber präzise Sprache Fieldings durchgehend Leser und Leserinnen
emotional gefangen nehmen und dazu führen, dass es schwer fällt, das Werk aus
den Händen zu legen, hat man erstmal begonnen, die ersten Seite zu lesen.
Fazit
Überzeugend im Stil, anders und interessant im Setting und in sich stringent
und logisch in den einzelnen Fäden der Geschichte erzählt ist dieser Roman ein
Volltreffer sowohl in der emotionalen Dichte als auch in der sich steigernden
Spannung und der hohen Sympathie, die Leser und Leserinnen umgehend mit den
Hauptpersonen Linda und Jenny (okay, an diese muss man sich ein wenig gewöhnen
zunächst) entfalten.
Eine klare Leseempfehlung.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 16. Januar 2025 2025-01-16 15:51:58