Zur "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts", dem ersten Weltkrieg, liegen
zum 90. Jahrestag des Kriegsbeginns zahlreiche neue und wieder neu aufgelegte
Klassiker vor. Das vorliegende Buch ist eine erweiterte Ausgabe des im Januar
2004 erschienenen Spiegel-Spezial zu diesem Thema. Historiker und Journalisten
untersuchen Ursache, Verlauf und Auswirkungen des ersten totalen Krieges, den
sie als "Wegbereiter für Lenin und Hitler" (Klaus Wiegrefe) bzw. als
"Zweiten Dreißigjährigen Krieg" bewerten. Den Anteil Deutschlands an
der Kriegsschuld wird von den Historikern unterschiedlich bewertet. Während der
beste Kenner Wilhelms II., sein Biograph John Röhl, dessen Schuld als
"sehr groß" bewertet, setzen sich Hew Strachan und insbesondere
Konrad H. Jarausch sehr kritisch mit den Thesen Fritz Fischers zur Alleinschuld
des Kaiserreiches am Krieg (aus seinen Publikationen: "Griff nach der
Weltmacht" von 1961 und "Krieg der Illusionen" von 1969
auseinander und werten dessen Darstellungen als überzogen (S. 258).
Insbesondere Strachan hebt in seiner (hervorragenden) Darstellung der Juli-Krise
von 1914 heraus, dass gegen Fischers These von der Alleinschuld und
Aggressivität des Kaisserreiches eine Reihe von Fakten sprächen (S. 249).
Besonders interessant fand ich die Darstellungen der Westfront, insbesondere das
Kapitel: "Das große Sterben", welches mich veranlasste, Remarques
Klassiker: "Im Westen nichts Neues" erneut zu lesen. Auch die
Widerlegung des Mythos von der Kriegsbegeisterung von 1914 durch Jochen Bölsche
in Anlehnung an Volker Ullrichs Studie: "Das August-Erlebnis" zeigt,
dass es eben auch im Ersten Weltkrieg nur begrenzt - und bezogen auf
bürgerliche Schichten - eine Kriegsbegeisterung gegeben hat.
Dokumente zum Ersten Weltkrieg, vor allem aus Immanuel Geiss bis heute
unübertroffenen Dokumentensammlung: "Juli 1914" (dtv-Dokumente, 1965)
und eine Auswahl an Internet-Adressen zum Thema sind interessant.
Vorwiegend fokussiert der Band die Rolle Deutschlands im Krieg und geht nur
vereinzelt, etwa im (hervorragenden) Artikel Fritjof Meyers zum Zusammenbruch
des Zarenreiches oder in der Studie über Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg
Winston churchills im Ersten Weltkrieg (Michael Sontheimer) auf andere Mächte
ein.
Fazit
Insgesamt ein guter Einstieg in das Thema für Laien. Für Historiker und
Forscher nach wie vor unübertroffen: Immanuel Geiss: Der lange Weg in die
Katastrophe, die beiden Standardwerke von John Keegan ("Der erste Weltkrieg
- eine europäische Tragödie und: "Die Kultur des Krieges) und Niall
Fergusons: "Der falsche Krieg". Die beste neuere Darstellung zur Rolle
Deutschlands im Krieg meines Erachtens nach wie vor: Roger Chickering: Das
Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg."
Leider fehlt die informative Literaturliste: "Bücher zum Thema", die
in: "Spiegel Spezial" dem interessierten Laien eine tiefere
Beschäftigung mit dem Thema ermöglicht, in diesem Band.
Fazit: Gut zur Ersteinführung für Laien, weniger geeignet, da zu sehr auf die
Rolle Deutschlands im Ersten Weltkrieg fixiert, für Historiker, die
weiterführende Informationen über die genannten Titel hinaus suchen.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 25. August 2004 2004-08-25 22:46:01