Bruno Dey, 93 Jahre alt, ehemaliger SS-Wachmann im KZ Stutthof, steht wegen
Beihilfe zum Mord in mehr als 5000 Fällen in Hamburg vor Gericht und wird im
Jahre 2020 schuldig gesprochen. Ein hochbetagter Mensch wird 75 Jahre nach dem
Holocaust für seine Taten, oder wie in diesem Falle: sein
"Nicht-Handeln" strafrechtlich belangt. Ein Akt später Gerechtigkeit
oder Zeichen von Aktionismus? Tobias Buck, der Autor des kürzlich beim
Siedler-Verlag erschienenen Buches, berichtet nicht nur über den Prozess.
Inhaltlich spannt er einen weiten Bogen: Betrachtet werden neben den
juristischen Fragestellungen auch die historisch-politische Bedeutung des Falles
und verknüpft seine Beobachtungen mit den ethisch-moralischen Fragen in Bezug
auf Verantwortung und Schuld.
Gleich zu Beginn werden die Hauptakteure des vorliegenden Strafprozesses lernen
Leserinnen und Leser die Hauptakteure kennen. Insbesondere den Angeklagten Bruno
Dey und darüber hinaus die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring. Weitere
Akteure gelangen sukzessive mit in das Blickfeld der Leserschaft.
16 Kapitel nutzt Tobias Buck nicht nur, um den Fall Dey aufzurollen und den
Prozessverlauf zu schildern. Ergänzend werden historisch und politisch
relevante Themen aufgegriffen und ergänzen das juristische Prozedere um
wesentliche Informationen. So schildert Buck den Wandel der Sicht- und
Vorgehensweise im Hinblick auf die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Sichtweise von
Holocaust-Überlebenden (und damit die Frage nach später Sühne) gelangen
ebenso zum Ausdruck wie die Sichtweise der Beschuldigten (und deren
Angehörigen). Ergänzend kommen auch Juristen und Historiker zu Wort. Fast
wäre der Prozess gescheitert. Nicht wegen juristischer Mängel, sondern weil
die einsetzende COVID-Pandemie den reibungslosen Ablauf des Verfahrens in Frage
stellt. Aufgrund der Beharrlichkeit der vorsitzenden Richterin kommt der Prozess
zu einem Abschluss: Ein Urteil wird am 23. Juli 2020 "Im Namen des
Volkes" verkündet.
Fazit
Das vorliegende Buch: "Das letzte Urteil" ist nach meinem Dafürhalten
ein Buch der Extraklasse und sei jedem zur Lektüre empfohlen! Das Gesamtwerk
stellt eine ausgesprochen gelungene Komposition multiperspektivischer
Sichtweisen auf die Problematik und die zugrunde liegenden Fragestellungen im
Zusammenhang mit jüngeren Strafprozessen in Bezug auf den Holocaust dar.
Tobias Buck versteht es geradezu meisterhaft, die Leserschaft sowohl sprachlich
als auch fachlich-inhaltlich in den Bann zu ziehen. Objektivität ist der
Leitfaden des Autors - Chapeau! Die Bündelung von Information und Spannung in
kompaktem Format ist an sich schon eine Meisterleistung. Das Ganze in der
vorliegenden Form sprachlich zu gestalten, lässt die Lektüre zu einem
besonderen Erlebnis werden! Hochachtung für den Autor und die gelungene
Übersetzung aus dem Englischen.
Genau so stelle ich mir ein exzellentes Sachbuch vor: grandios erzählt,
inhaltlich interessant, informativ und spannend und in jedem Detail zum
Nachdenken anregend!
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
[Profil]
veröffentlicht am 30. Dezember 2024 2024-12-30 17:14:58