Vera F. Schreibers Debütroman ist ein zeitgenössischer Roman mit historischem
Hintergrund, der die Selbstradikalisierung eines Mannes, das Scheitern einer Ehe
und den Wunsch nach Glück thematisiert.
Jana Gallwitz freut sich darauf, sich in den wohlverdienten Ruhestand zu
begeben. Nachdem sie einen gut bezahlten Job im Ausland hatte, plant sie Reisen
und gemeinsame Aktivitäten mit ihrem Ehemann Hartmut. Allerdings hat Hartmut
offensichtlich andere Pläne. Er ist heimlich einer rechtsextremen Partei
beigetreten und nimmt nun ein politisches Mandat wahr. Sein Alltag ist von
Verschwörungstheorien, Hass und Hetze geprägt, was Jana machtlos und immer
verbitterter werden lässt. Dadurch zerbricht nicht nur ihre gemeinsame
Lebensplanung, sondern sie wird immer häufiger auch sozial geächtet. Einer der
Höhepunkte dabei ist eine Silvesterparty.
Karl Niemetz, der Lehrer von Jana in der Vergangenheit, zeigt mithilfe seiner
eigenen Lebensgeschichte, dass Väter ohne Empathie nicht als Ausrede für
alles, was ihre Söhne tun, herhalten müssen. Obwohl seine Kindheit ähnlich
verlief wie die von Hartmut Gallwitz, ist er das komplette Gegenteil. Jana ist
selbstbewusst genug, um mutige Entscheidungen zu treffen, die ihr Leben komplett
verändern.
Vera F. Schreiber, eine Autorin, die zuvor im Technologiebereich tätig war,
widmet sich in der heutigen Zeit einer herausfordernden Problematik: der
gesellschaftlichen Spaltung in intolerante Lager. Trotz der vorweggenommenen
Ankündigung des Happy Ends im Prolog, ist es gerade diese positive Entwicklung,
die die Leser dazu motiviert, den Roman fortzusetzen und herauszufinden, wie es
zu diesem für Jana glücklichen Ausgang gekommen ist und was sie daraus
macht.
Die Autorin untersucht die Ursachen für die zunehmende Spaltung der
Gesellschaft, indem sie nicht nur in der Gegenwart bleibt, sondern auch
Rückblenden in die Vergangenheit der Figuren einbindet. Diese Herangehensweise
ist äußerst gelungen, da sie auch mich an Ereignisse aus meiner Kindheit
erinnert hat, die damals als normal galten, heutzutage jedoch von jüngeren
Generationen vergessen und abgelehnt werden. So manches Mal hielt ich beim Lesen
inne und dachte: Ja, so war das damals. Obwohl die Protagonistin im ersten Teil
des Romans in einer ausweglosen Situation zu sein scheint, werden die Leser im
zweiten Teil einen Hoffnungsschimmer spüren, der die Protagonistin in die
Zukunft zieht. Eine neue Beziehung entwickelt sich und man ist gespannt, wie es
darin weitergeht.
Trotz der ernsthaften Thematik, die von Vera F. Schreiber behandelt wird, zeigt
sie dennoch Bereitschaft zu humorvollen Abweichungen. Die Hauptfigur hat einen
schelmischen Zug an sich, wenn sie dem neuen Menschen in ihrem Leben vorerst
verschweigt, dass sie sich bereits kennen. Eine ähnliche Situation entsteht
dann beim Arztbesuch. Ein Schmunzeln kann beim Leser nicht verhindert werden.
Alles in allem fand ich die Herleitung des Verhaltens zweier Männer durch
ähnliche Erziehung sehr interessant. Auch sind die humorvollen Szenen, die die
menschliche Interaktion auflockern, amüsant zu lesen. Die klare Strukturierung
in zwei Teile, die spannend zusammengeführt werden, gestattet ein einfaches
Sich-Einlassen auf die Lebenswege der beiden Männer im Leben der Protagonistin.
Die tiefgehende Argumentation zu Selbstradikalisierung und Verteidigung rechten
Gedankenguts klingt plausibel und ist aus meiner Sicht gut nachvollziehbar.
Dabei regt die positive Einstellung der Autorin zu ihrem Thema zum Nachdenken
an. Das besondere Cover des Buches mit Lesebändchen ist visuell ansprechend und
unterstreicht das Thema.
Fazit
»Gallwitz« hat mir sehr gut gefallen und ich kann es jedem Leser ans Herz
legen, der sich Gedanken über die heutige Gesellschaft in Deutschland macht.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 23. September 2024 2024-09-23 09:59:22