Die Geschichte des Dritten Reiches ist eigentlich sehr gut erforscht. Dennoch
sind Berichte von Zeitzeugen, die die Herrschaft des Nationalsozialsozialismus
und Hitlers erlebt haben, immer besonders interessant, da sie es schaffen, das
damalige Geschehen "begreiflich" zu machen. Dies gilt auch für die
vorliegenden Memoiren.
Anlässlich des Jahrestages des 20. Juli 1944 haben mich die Kapitel zum
deutschen Widerstand, die Kontakte zu Stahlbergs Verwandtem Henning von
Tresckow, einem der wichtigsten Köpfe der militärischen Opposition gegen
Hitler, besonders interessiert. So schildert Stahlberg, der lange mit
Generalfeldmarschall von Manstein im Rußlandfeldzug zusammenarbeitete, den
dreitägigen Besuch Hitlers in Saporoschnje in der Ukraine im Jahre 1943, wo
Stahlbergs Einheit gestanden hat. Hinterher wurde er von Tresckow gefragt, warum
er Hitler nicht erschossen habe. Antwort: er habe es nicht als seine Aufgabe
gesehen, dieses ohne Absprache mit anderen zu tun. Außerdem sei er davon
überzeugt, dass es nicht ausreiche, Hitler alleine zu beseitigen, da dieser
dann durch andere Politiker des damaligen Dritten Reiches ersetzt werden würde.
Dies zeigt ganz eindeutig das Dilemma der Verschwörer des 20. Juli 1944 bereits
zu jenem Zeitpunkt auf. Beseitigung des charismatischen Diktators einer
totalitären Diktatur beseitigt eben nicht diese Diktatur selber. Sie
dokumentiert allerdings die Charakterstärke Tresckows, die ja besonders
eindrucksvoll von Marion Gräfin Dönhoff in ihrem Buch: "Um der Ehre
willen", dem ergreifendsten Buch zum 20. Juli 1944, welches ich kenne,
herausgearbeitet worden ist.
Charakterstärke bewies auch Stahlberg selber: er war 1932 als junger Abiturient
in die Umgebung Franz von Papens vermittelt worden, dem Manne also, der -
zusammen mit Reichspräsident von Hindenburg, dessen Sohn Oskar und dessen
Staatssekretär Meissner, der diesen Posten unter Hitler behalten sollte, am
meisten zur Machtübertragung an Hitler am 30. Januar 1933 beigetragen hat.
Hautnah schildert er die Versuche der Umgebung Papens, Hitler im Januar 1933 zur
Kanzlerschaft zu verhelfen. Der einzige Konservative, der nachdrücklich gegen
Hitlers Kanzlerschaft agiert, Ewald von Kleist, schickt Papen noch am Tage der
Ernennung Hitlers zum Kanzler ein Telegramm, um diesen vor diesem Schritt zu
warnen. Die berühmten Worte Papens an Kleist: "Was wollen Sie denn, wir
haben ihn, Hitler, engagiert" fehlt heute in keiner Beschreibung der
Machtübernahme durch Hitler am 30. Januar 1933 und beschreibt treffend die
Illusionen der konservativen Steigbügelhalter Hitlers um von Papen. "Es
hilft nichts, mein Mann ist entschlossen", erklärt Frau von Papen weinend
dem Autor Stahlberg am 30. Januar 1933. Hitler wird von Hindenburg zum
Reichskanzler ernannt. Bald erkennt von Stahlberg - unter dem Einfluß seines
Patenonkels Herbert von Bismarck, dem Sohn des Reichsgründers Otto von
Bismarck, die verbrecherische Seite des neuen Staates, die sich besonders darin
dokumentiert, dass der preußische Innenminister Göring rechtsstaatswidrige
Verordnungen erläßt und deckt, etwa den Schießbefehl der Polizeibeamten auf
politische Gegner. Stahlberg zeigt im übrigen deutlich auf, dass - wie
Gerüchte schon damals wissen wollten - Göring zusammen mit Helfern den
Reichstag am 27. Februar 1933 anstecken ließ und von der Lubbe kein
Einzeltäter, sondern bestenfalls willenloses Werkzeug der neuen Machthaber
gewesen ist. Als Herbert von Bismarck deutliche Indizien für diesen Verdacht
erhält, scheidet er freiwillig als Görings Staatssekretär aus.
Daraufhin wird Stahlberg von seinem Vater bedrängt, aus den Diensten Papens zu
treten, da der Vater nun sah, dass der Weg des neuen Regimes nur in den
totalitären Staat und ins politische Verbrechen führen konnte. Dieser Schritt
erwies sich nicht nur als klug vorausschauend, sondern auch für Stahlberg als
lebensrettend. Am 30. Juni 1934 wird im Zuge des sogenannten
"Röhm-Putsches außer Papen selber, der lediglich kurzzeitig unter
Hausarrest gestellt wurde die gesamte Mannschaft des Vizekanzlers entweder
verhaftet - wie Stahlbergs Nachfolger von Tschirsky - oder gar ermordet, wie der
Verfasser der Papen-Rede am 17. Juni 1934, Edgar Jung oder Herbert von Boese,
der versucht hatte, über den Sohn des Reichspräsidenten von Hindenburg ein
Treffen zwischen Papen und diesem zu arrangieren, um Hindenburg zu bewegen, den
militärischen Ausnahmezustand auszurufen und Hitler abzusetzen. Dies mißlang
bekanntlich, Hitler entledigte sich - unter anderem auf Druck der
nationalkonservativen Opposition und der Reichswehr - der Rivalin der
Reichswehr, der SA. Aber zahlreiche Gegner des Regimes, unter anderem der
konservativen Opposition, wurden ebenfalls dabei ermordet. Stahlberg entging dem
Schicksal, weil er rechtzeitig aus dem Dienste von Papens ausgeschieden war.
Nachdem Stahlbergs Vater hört, dass Papen sich trotz der Morde bereiterklärt,
als Hitlers Botschafter nach Wien zu gehen, verbietet er dem Sohn weiteren
Kontakt mit dem charakterlosen von Papen.
So erlebt der Leser hautnah die Geschehnisse um die Entstehung und den Verlauf
des Dritten Reiches mit, welches - wie von Stahlberg und seine Verwandten sofort
erkannten - nur in den Krieg führen konnte. Dort wird Stahlberg mit
Stauffenberg und Manstein bekannt, dessen persönlicher Referent er werden wird.
Spannend beschreibt er Mannsteins zwiespältiges Verhältnis zu Hitler und zum
Widerstand, dem er sich nicht anschloss, da er ein zögerlicher Mann war. Nach
dem 20. Juli 1944, den er trotz Mitwissenschaft um das Attentat ohne Verhaftung
überstand, empfand er Hitlers Tod und das Ende des Dritten Reiches als
Befreiung.
Fazit
Ein unwahrscheinlich eindrucksvolles und packendes Buch, welches Zeitgeschichte
plastisch nacherlebbar macht - und die tragische Verkettung der Protagonisten
verdeutlicht, dass ihre altpreußischen Begriffe von Ehre und Pflicht von einem
verbrecherischen Staat rücksichtslos ausgenutzt wurde, was diese Begriffe lange
Zeit - meines Erachtens zu Unrecht - pervertiert hat. Der Titel des Buches:
"Die verdammte Pflicht" scheint mir daher treffend gewählt: sie
verdeutlicht treffend den Zwiespalt zwischen der emfpundenen Pflicht, für
Deutschland zu kämpfen, um die Niederlage im Kriege zu verhindern einerseits,
und dem Bewußtsein, dass ein solcher Sieg nur das verbrecherische Hitler-Regime
stärken würde, andererseits. Welcher Mut dazu gehörte, in dieser Situation
sich zum Widerstand zu entschließen und das Attentat des 20. Juli 1944 zu
wagen, wird eindrucksvoll dargestellt. Deutlich wird für mich, dass die
Attentäter des 20. Juli 1944 wahrhaft mutige Helden waren, die das Äußerste
wagten, um Deutschland von dem verbrecherischen nationalsozialistischen Regime
zu befreien.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 25. August 2004 2004-08-25 22:41:41