Sich dicht zusammenziehende Atmosphäre
Mal enger, mal loser, verbunden sind sie alle, die Nachbarn in diesem
angenehmen, nun immer weiter hergerichteten Viertel, in dem inzwischen eine
Menge gut situierter Familien leben. Zum Leidwesen der alten Mara, ein
Urgewächs des Wohnviertels. Die mehr und mehr empfindet, nur noch am Rande der
munteren Gesellschaft "mitzuschwimmen". Die aber ihre
"Unsichtbarkeit" durchaus zu nutzen weiß. Denn sie hört und sieht
mehr, als alle anderen.
Und es gibt einiges zu sehen und zu hören, wenn man hinter die Fassaden der
schicken Wohnhäuser schaut. Und hinter die Fassaden der so erfolgreich
wirkenden Menschen. Oder was soll man davon halten, dass eine der Nachbarinnen,
Blair, gerne und ausführlich, heimlich natürlich, sich das Haus der von ihr
verehrten und beneideten Nachbarin Whitney näher anschaut? Von Innen.
Jene Whitney, die smart, tough und beherrscht ihren Weg nach ganz oben genommen
hat. Vermittelt sie zumindest der Nachbarschaft. Doch das scheint einen Preis zu
fordern, der zunächst ungläubig registriert wird, dann aber immer massiver in
den Gerüchten durch die Straßen läuft. Ohne Genaueres zu wissen, natürlich.
Dass da wohl nicht alles so stimmig ist im Verhältnis Whitneys zu ihren drei
Kindern, zumindest zu ihrem Sohn Xavier. Zunächst gibt es ungewohnten Lärm und
dann ein Kind, das körperliche Verletzungen aufweist. Dabei ist doch eigentlich
alles in Ordnung bei den Musterfamilien der Nachbarschaft. Oder?
"Wie sich die Erwachsenen im Garten des teuersten Hauses der Straße
gegenseitig mustern und dabei so aufgesetzt freundlich sind, erinnert an das
Tierreich. Alle zieht es zu den attraktivsten Gästen".
So nimmt das Eintauchen in eine Welt, in der vieles mehr "Schein als
Sein" ist, mit Dynamik seinen Lauf. Schritt für Schritt und Seite für
Seite entblättert Audrain die einzelnen Charaktere und deren hintergründigen
Verbindungen zueinander, bis ein kaum noch zu entwirrendes Gemisch aus Neid,
Neugier, verdeckten Gefühlen und Heimlichkeiten vor den Augen von Lesern und
Leserinnen entsteht, das emotional packt und in den Bann zieht. So dass dieser
kleine Nebensatz des Sohnes von Mara, vor langer Zeit, in gewisser Weise den
Ereignissen ihr inneres Thema gibt, wenn er immer mehr ins Schweigen gleitet,
nur noch flüstert, und auf den Punkt bringt:
"Ich habe das Gefühl, den ganzen Tag auf der Bühne zu stehen…Als
würden mich alle wie im Theater anschauen".
Womit sich dieser Mikrokosmos der konkreten Personen in der konkreten
Nachbarschaft im Roman als kluge Bestandsaufnahme der Welt an sich entfaltet.
Der Auftritt. Das Image. Die Fassade. All das bewegt die Menschen dort mehr, als
dass sie Wege zu sich selbst und zu einer besseren Füllung ihres Lebens auch
nur in Betracht ziehen würden.
Fazit
In der Umsetzung allerdings gleitet Audrain doch zu oft in das
"Geflüster" in der Nachbarschaft ein und unter. So dass am Ende, bei
aller Klarheit der inneren Unwucht in ihren vier Frauenfiguren, auch schlichtweg
es einfach Gehässigkeit sein könnte, die am Ende zum großen Knall führen
wird.
In all dem aber sind das innere "Abgleiten" jeder der vier Frauen und
die offen zu Tage tretende Verzweiflung, die am Ende hinter all den
merkwürdigen Denk- und Verhaltensweisen der Bewohner steht, erschreckend im
Raume verbleiben und Leser und Leserinnen durchaus einen Spiegel der eigenen
Lebenswelt vorhalten. Wenn man bereit ist, hineinzuschauen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 28. Juni 2024 2024-06-28 13:30:16