Düster und verzwickt
Schuhe mit Füßen. Allerdings ohne den Rest vom Bein und des ganzen Menschen,
der einmal diese Füße besessen hat. Viele Paar Schuhe mit Füßen sind es,
die, sauber aufgereiht, in Richtung des Einganges zum Friedhof
"Highgate" in London zu streben scheinen. Ältere tote Füße und
scheinbar frische tote Füße. Da atmet Kommissar Adamsberg erst einmal auf.
Denn er ist nur zu Besuch zu einer Konferenz mit einigen Mitarbeitern in London.
Diese Füße sind nicht sein Problem! Meint er. Zu Anfang noch.
Doch als ein kauziger, älterer, reicher Mann in seine Einzelteile zerlegt in
seinem Haus aufgefunden wird, als klar wird, dass nicht der Sohn, sondern ein
enger Bediensteter, groß, kräftig, leicht geheimnisvoll, all die Besitztümer
erben werden wird, als auf diesen geschossen wird, da schwant Adamsberg, dass
irgendwas aktuell nicht ganz stimmt. Mit der Welt. Und, man glaubt es kaum, mit
den Füßen. Eher mit den Schuhen, in denen diese stecken. Denn ein paar der
Schuhe wird von einem seiner engsten Mitarbeiter, Danglard, erkannt. Was nicht
sein kann. Denn wie sollten die Schuhe seines länger schon verstorbenen
Verwandten auf die Straße vor Highgate gelangen? Und was hat ein Dorf auf dem
Balkan mit all dem zu tun?
Nebenbei, neben den trocken ironischen Dialogen, dem Verzweifeln Adamsbergs an
Teilen seiner Mitarbeiterschaft (und an manchen Vorgesetzten), neben der ganz
eigenen, eigenwilligen Art, in der Adamsberg oft seine Ermittlungen ganz im
Stillen vor sich hin vollzieht, muss der Kommissar sich in diesem Fall äußerst
sputen. Denn es scheint Kräfte innerhalb der Pariser Polizei zu geben, die in
keiner Form ein Ergebnis seiner Ermittlungen dulden wollen. Eine Schlinge zieht
sich zu, die ihn selbst zum Hauptverdächtigen machen könnte. Daher gilt für
Adamsberg: "Schneller laufen als sie, den Ball kriegen, bevor er den Boden
berührt.
Aber es wird knapp werden. Und ebenso überraschend. Denn lange Zeit tappt nicht
nur Adamsberg, sondern damit auch die Leser und Leserinnen völlig im Dunkeln,
was der Hintergrund für so ein "zerfetzendes" Verbrechen sein
könnte. Das sogar noch Fortsetzungen finden wird. Und was das alles mit einer
Phalanx an Schuhen zu tun haben könnte, die am helllichten Tag in London auf
der Straße herumstehen.
Fazit
Im Stil, wie gewohnt, geheimnisvoll, aber auch erfrischend im Humor und mit viel
Liebe zu den Figuren versehen (die differenziert Tiefe und eine je eigene
Geschichte erhalten), gelingt es Vargas spielerisch leicht, Leser und Leserinnen
immer tiefer in die Fälle hineinzuziehen, mit Danglard und einer möglichen
neuen Liebe mit zu fiebern und, natürlich, Adamsberg mit Spannung dabei
zuzuschauen, wie er versucht, als Hase immer vor dem Igel im Ziel zu sein. Bei
zunehmender Geschwindigkeit der Hatz durch ihn nach den Tätern und der Hatz auf
ihn durch jene, die genau das verhindern wollen. Um so ziemlich jeden Preis.
Was eine ganze Reihe seiner persönlichen Ängste wachrufen wird. Wenn er an
sein Kind erinnert wird, das er für überaus gefährdet hält. Oder wenn er
allzu enge Räume meiden muss, weil eine unnennbare Panik in ihm aufsteigt. So
dass die Geschichten in den Personen sich als ebenso spannend darstellt, wie die
Ereignisse der Ermittlungen und die äußeren Gefahren, die sich drängend
zusammenziehen am Horizont.
Eine sehr zu empfehlende Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 28. Juni 2024 2024-06-28 13:08:25