Liberalismus und Individualismus bilden eine untrennbare Einheit. So sieht und
beschreibt es Anna Schneider in ihrem Buch, die sie als "Liebeserklärung
an den Liberalismus" versteht. Die gebürtige Österreicherin lebt seit
mehreren Jahren in der deutschen Hauptstadt, studierte in Wien
Rechtswissenschaft und Kunstgeschichte, bevor sie als Journalistin tätig wurde.
Sie berichtet derzeit für die "Welt" und tritt leidenschaftlich für
liberale Perspektiven ein.
Inhaltlich befasst sich ihr vorliegendes Buch -geradezu natürlich- mit ihrer
Herzensangelegenheit: dem Liberalismus. Sie führt inhaltlich ihr persönliches
Verständnis zur inhaltlichen Ausgestaltung eines modernen Liberalismus aus,
verdeutlicht dies anhand mehrerer Beispiele und ordnet liberale Politik in ihre
Sichtweise ein und kommentiert sie. Dabei spielen allgemeine politische
Fragestellungen ebenso eine Rolle, wie die parlamentarische Arbeit; auch (oder
besser: insbesondere) die freien Demokraten (FDP) werden aus Sicht Anna
Schneiders ob ihrer politischen Praxis betrachtet.
Fazit
Liberalismus = Individualismus, ohne wenn und aber! So verdeutlicht es Anna
Schneider gleich zu Beginn ihres Buches, einer leidenschaftlich verfassten
Streitschrift, so würde ich das Werk zumindest einstufen. Individualismus werde
hierzulande sofort mit Egoismus gleichgesetzt und das bedeutet
"Glatteis", in der Sichtweise der Politiker, der Bürger und nicht
zuletzt vieler Journalisten. Ein "Verriss" der auf Individualität
ausgerichteten Sichtweise sei gleichsam vorprogrammiert.
Ja, wir müssen uns Gedanken über den Fortbestand liberaler Gesellschaften und
der Demokratie machen, ganz ohne Zweifel! Dabei ist es nicht nur erlaubt,
sondern vielmehr erwünscht, dass Meinungspluralismus entsteht. Zweifelsohne
sind die Begriffe "Demokratie", "Liberalismus" und
"Individualismus" eng miteinander verwoben und gehen im Idealfall
erstrebenswerte Kooperationen ein, im Sinne einer Demokratie mit
Leuchtturmcharakter.
Die Interpretationen der Autorin im vorliegenden Band empfinde ich allerdings
-vorsichtig ausgedrückt- als abenteuerlich. Die Grenzen zwischen
Individualismus und Egoismus verschwimmen und zudem findet sich kein Ansatz
konstruktiver Auseinandersetzung mit den Argumenten Andersdenkender. Wenn
Argumente überzeugen sollen, bildet das nach meinem Empfinden jedoch eine
Grundvoraussetzung: "audiatur et altera pars" (gehört werde auch der
andere Teil).
Ich empfinde das Buch von Anna Schneider als Ansammlung vertaner Chancen -
schade, aber mich konnten ihre Argumente nicht überzeugen. Gleichwohl stellt
auch für mich das Individuum ein Kernelement liberaler Demokratie dar - und
dennoch kann/darf die liberale Demokratie gerade deshalb nicht mit einem
Konstrukt zur puren Selbstverwirklichung gleichgesetzt werden.
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
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veröffentlicht am 02. August 2023 2023-08-02 19:05:22