Wo und warum dort das "Ich" ist
Der Frage nach dem "Bewusstsein" hat sich Mark Solms als
Wissenschaftler ein Leben lang verschrieben. Und so wundert es nicht, dass das
vorliegende Werk auch eine Form der wissenschaftlichen Biographie des
Neurowissenschaftlers Solms darstellt, ebenso, wie es eine Biographie der
"Wissenschaft vom Bewusstsein" im Rahmen der Neuropsychologie, der
Psychoanalyse und der Psychologie an sich ist (soweit sich die Psychologie mit
dem Verstehen und der Verortung des Bewusstseins befasst). Wie kann es gelingen
als subjektiv denkendes Wesen objektiv über das Bewusstsein zu denken und sich
dieses vorzustellen? Das war eine der Kernfragen am Anfang der Forschungen von
Mark Solms.
"All die Jahre später versuche ich abermals, den Schleier zu lüften und
eine Blick auf den tatsächlichen Mechanismus des Bewusstseins zu
erhalten".
Und das, auch wenn es ein wissenschaftliches Buch ist, Abstraktionsvermögen bei
Lesern und Leserinnen voraussetzt und in manchen Teilen nicht einfach zu
verstehen ist, gelingt Solms hochspannend am ende der Lektüre. Die den Satz:
"Ich denke, also bin ich", etwas frei formuliert, transformiert in die
Erkenntnis "ich fühle, also "bewusste" (bin) ich (ich
selbst)". Mit im Übrigen der Eröffnung der Möglichkeit, nachdem
verstanden wurde, was das "bewusste Ich" am ende sein könnte oder
ist, ebenso zu erkennen, warum man selbst eigentlich so ist, wie man ist und,
vielleicht, sogar darauf nachhaltig Einfluss nehmen zu können.
"Ich möchte Sie davon überzeugen, dass Gefühle ein Teil der Natur sind
(physisch verstanden)…..und dass sie innerhalb der kausalen Matrix etwas
tun". Unter anderem dafür sorgen, dass der Mensch, wenn es um sein Leben
gerade nicht gut bestellt ist, sein Bewusstsein zu Hilfe ziehen kann, es besser
zu machen. Gefühle sind somit eine "innere Sprache", die aus dem
Leben selbst untrennbar mit dem Menschsein verbunden ist. Mitsamt dem klaren und
fundiert begründeten Widerspruch, den Mark Solms gegenüber der traditionellen
Neurowissenschaft und damit gegen den "Mainstream" setzt.
Nicht der "Cortex", der "Sitz der Intelligenz" ist in den
Augen Mark Solms der Ort des "Bewusstseins", sondern Solms setzt den
Ort des Bewusstseins im Gehirn in eine weit primitivere Region, "die wir
mit den Fischen teilen". Bewusstsein hat nichts mit "Intellekt"
oder "Intelligenz" zu tun, Bewusstsein in seiner elementaren Firm
kann, nach Solms nun, beschrieben werden als ein "rohes Fühlen". Und
stellt damit eine verblüffend einfache und eben keine komplizierte Funktion
dar. Mit dem Vorteil, dass genau diese Einfachheit emotional einfache Impulse zu
senden versteht. Die in der komplexen Form des menschlichen Lebens der Gegenwart
dann aber eines nachfragenden Verständnisses bedarf, um als Botschaft klar und
deutlich "im Verstand" auch begriffen zu werden.
Dass damit Bewusstsein auch "herstellbar" wird, dass die mechanischen
Vorgänge auf dieser primitiven Ebene des Gehirns "nach-gebaut" werden
können, dass ist dann eine zwar folgerichtige, aber in gewisser Weise auch
ernüchternde und erschreckende Erkenntnis der Lektüre. Und verdringlicht
umgehend die vielfachen kritischen Stimmen der Wissenschaft angesichts der
rasant voranschreitenden Ergebnisse der KI- und AI-Entwicklung.
Fazit
Am Ende verbleibt vor allem, dass Solms das Bewusstsein als Teil des
physikalischen Lebens vorhanden ist und sich entfaltet hat von Beginn des Lebens
an, dass Erfahrungen in einem bestimmten, "alten" Teil des Gehirns
automatisch und emotional verarbeitet werden und damit nicht als reine Funktion
und dennoch in den physikalischen Grenzen des Lebens sich bildet. Und das mit
mehr als reiner "Informationsverarbeitung", denn das
"Bewusstsein" geht darüber deutlich hinaus.
"….dass die Erklärung der Funktion des Fühlens automatisch auch
erklären wird, warum wir erleben". Womit sich Solms im großen Kreis
wieder den Forschungen des jungen Sigmund Freud nähert, diese nur auf anderer
als "Cortex-Ebene" interpretiert und damit den Gefühlen eine noch
stärkere Bedeutung zukommen lässt, als Freud es bereits getan hatte.
Was nicht alle und nicht die letzten Fragen erklärt, aber die Neurologie auf
einen andersartigen, ungewohnten und doch bestechend überzeugenden Pfad führt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 20. Juli 2023 2023-07-20 17:53:56