Frappierend die Gegenwart von der Zukunft aus weitergedacht
Man weiß nicht, ob man es sich wünschen soll. Was natürlich jedwede Form der
destruktiven Dystopie, die Glukhovsky so meisterlich je in Buchform zu
beschreiben weiß. "Outpost" aber, eine Reihe, von der "Der
Aufbruch" den zweiten Band darstellt, ist doch sehr nahe dran an den
Ängsten der Gegenwart. Und noch einmal durch das Geschehen des
"Wagner-Marsches auf Moskau" zentral in den Blick gerückt.
Was ist, wenn Russland zerfällt? Eine Ordnung nicht mehr existiert? Wenn ganz
andere, irre Personen plötzlich "die Musik" zu spielen scheinen? Und
an roten Knöpfen spielen könnten? Ohne jede Berechenbarkeit außer der, die in
Russland schon so lange zu gelten scheint. Dass eben nichts sicher rund
berechenbar ist. Dass man gestern noch einen hohen Rang und scheinbares
Vertrauen genossen hat und jetzt mit dem Rücken zur Wand steht.
"Wenn einem der erste Mann der Armeespionageabwehr eine Frage stellt, muss
man wohlüberlegt, aber in erster Linie schnell antworten"
Oder man kann entweder nie mehr antworten oder wird an einen Ort gebracht, wo
kein Normalsterblicher mehr die eigenen Antworten hören würde. Auch wenn in
dieser Science-Fiction kein Krieg, sondern ein Virus die Ordnung hat
zusammenbrechen lassen, zum Bürgerkrieg führte und nicht eine Schar harter
Kämpfer von der Ukraine Front. Vielleicht nicht ganz zerfallen, wer wie das
schon genau in solchen Zeiten? Aber dafür muss sich eine junge Frau, Michelle,
auf den gefahrvollen Weg ins Zentrum des russischen Reiches, nach Moskau,
aufmachen.
Wo wieder ein Zar herrscht. Nach Gutdünken. Und alle anderen darauf achten,
still und angepasst ihren Alltag zu überstehen. Was den Reichen in ihren
Gebieten naturgemäß leichter fällt, unbedingt sicherer sind diese allerdings
auch nicht. Mit teils grandiosen Sprachbildern, jederzeit die Gefahr im
Hintergrund lauern lassen und voller Andeutungen fesselt Gluckovsky den Leser
fast spielerisch und bringt seine Protagonisten immer näher in Gefahren. Sei es
untereinander, sei es jener großen, ominösen Bedrohung gegenüber, die
"da draußen" irgendwo und noch ungreifbar lauert.
Dass der Dissident Glukhovsky seine Bedrohungslage im Roman und seine Härte
immer auch doppeldeutig meint, unter der Decke dystopischer Szenen und harter
Momente auf die Realität bezieht, dass ist auf jeder Seite des Romans
offenkundig und birgt eine noch deutlichere Nähe zu all den Ereignissen der
Gegenwart. So ist es nicht schwer, das "Virus" als Gegner irgendwo da
draußen mit seinen bluttriefenden Folgen für jeden, der sich ihm aussetzt oder
aussetzen muss, als Teil der aktuellen "Krankheit der Welt" 8nicht nur
in Russland" zu identifizieren.
Wo den Menschen gezielt und professionell mehr und mehr die "Sinne
vernebelt" werden sollen und es nur noch darum zu gehen scheint, wer die
überzeugenderen Troll Fabriken anführt und die aufkommende KI in
rücksichtslosester Form auf die Menschen "loslässt".
Fazit
Von dieser politischen und gesellschaftlichen Dimension abgesehen, die im Roman
deutlich die tiefere Ebene bildet, ist vor allem zu konstatieren, dass
Glukhovsky auch sein sprachliches Handwerk beherrscht und den Roman stilsicher,
hart, teils brutal und mit klarem roten Faden voranbringt. Man kann als Leser
und Leserin ohne Weiters bereits die Bilder einer möglichen Verfilmung vor
Augen sehen und fiebert nicht nur mit der jungen Michelle und ihrem Begleiter
und Gefährten mit.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 06. Juli 2023 2023-07-06 13:44:59