Melancholisches Abdriften in vergangene Tage
Der eine ist tot. Max. Der andere kommt einen langen Weg, nicht nur
geographisch, sondern auch aus einem inzwischen ganz anderem, erfolgreichen,
illustrem Leben als international erfolgreicher Fotograf. Lennart. Und wie als
wäre die Zeit stehengeblieben (und beim Interieur ist sie es deutlich auch),
man trifft sich im Freibad in der kleinen Stadt. All die alten sich kennenden,
Freunde, Clique. Selbst der Bademeister, Kiontke, ist noch de gleiche. Und damit
hat es durchaus seine Besonderheit. Denn vor langer Zeit, am Sprungturm, da war
etwas passiert. Schlimm und dramatisch. Seitdem ist der "Siebener"
gesperrt. Für immer, wie sich alle denken.
Die inzwischen entweder deutlich gealtert sind (wie Renate, die
"Kassenfrau"), oder eben erwachsen und mit der Mühsal des Alltags am
kämpfen (wie Melanie, die Kindergärtnerin). Schicksale, Haltungen,
Erinnerungen, ein nicht sonderlich leuchtender Alltag, der an diesem Tag im
alten Freibad noch einmal und deutlich kulminieren wird. Auch weil dieses
Mädchen mit dem überaus altbackenen Badeanzug sich etwas vorgenommen hat. Sie,
die mit gutem Grund noch niemals die Sprungturmanlage betreten hat, wird heute
alles hinter sich lassen. Und einen "Seemann" springen. Erst vom
Einer, dann vom Dreier, dann vom Fünfer und am Ende von der gesperrten
Plattform vom Siebener. Und da, wo andere an ihrer Seite etwas
"Flirrendes" sehen, da weiß sie genau, wer sie begleitet. Beim
Kopfsprung mit hinter dem Rücken verschränkten Händen. Ein
"Seemann", der in der Vergangenheit vielleicht der Auslöser all
dessen war, was das Leben der verschiedenen Personen auf je eigene Art und Weise
mitgeprägt hat.
Wobei Frank nicht nur diese vordergründige Geschichte erzählt, sondern mittels
der Erinnerungsmelancholie tief eintaucht in das Leben seiner Protagonisten,
aber auch bei Lesern und Leserinnen deutscher Breitengrad in einem gewissen
Alter Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenleben, vielleicht gar die ersten
eigenen Schritte mit einer eigenen Familie und eigenen kleinen Kindern
weideraufleben lässt. In dieser Kulisse, die es in dieser Form vielleicht
wirklich nur in Deutschland gibt. Mit dem großen Baum auf der Liegewiese, den
Messinghaken in der Umkleide, dem blaugestrichenen Becken, in dem das Wasser
verlockend glänzt und das alles für das noch altbekannte "schmale
Geld". Denn dies ist kein modernes Spaßbad geworden mit minutengenauer
Abrechnung und hohen Preisen, dies ist genau noch jener Ort des
"Ganztagsaufenthaltes", der so manche Generation geprägt hat. Und
doch, hinter den Kulissen und Einrichtungen verbergen sich intensive
Lebensgeschichten. Nicht unbedingt im äußeren Ergehen, wohl aber im inneren
Erleben.
"Die langweiligste Geschichte der Welt, so langweilig, dass vermutlich
sogar der Therapeut eingeschlafen wäre, hätten sie sich einen gesucht. Ihr
Leben".
So denkt es Josefine und ganz alleine steht sie damit nicht.
Fazit
Leicht findet man hinein, verfolgt interessiert, was aus den Menschen geworden
ist im Lauf der Jahre, blickt durchaus mit Spannung auf die Auflösungen, die
hinter den Dramen stehen. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass die
Geschichte hier und da auch vor sich "hinplätschert" und sich manches
Mal im zu langen Beschreiben, zu sehr verweilen an einzelnen Perspektiven
ergeht.
Alles in allem aber gelingt es Arno Frank überzeugend, eine Atmosphäre, ein
"Klima des Lebens" vor die Augen zu führen und die Verbindungen der
verschiedenen Leben, die sich an diesem Tag im Freibad noch einmal begegnen, in
ihrer Tiefe offenzulegen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. Mai 2023 2023-05-24 11:24:43