Nicht "zeitgemäß" auf der Suche nach sich. Und dem Leben. So kann
das kommen, wenn man heutzutage als doch gestandener Schriftsteller einen
"Talk" abhält. Mal von sich und seinem neuen Werk erzähl und auf
eine Welt trifft, die sich in den letzten 3-4 Jahren noch einmal rasend und
rasant tiefgreifend verändert zu haben scheint. Denn das ist, was an Erfahrung
letztlich hinter diesem danebengegangen "Event" für den Protagonisten
dieses neuen Romans von Arnold Stadler steht. Die Frage, wo eigentlich jene Welt
geblieben ist, aus der er stammt und die er kannte. In der er sich zu bewegen
wusste. Und ob das nun der Gang der Dinge ist, keinen rechten Ort für sich
selbst mehr zu spüren, sondern eher im Gegenwind nur noch zu stehen.
"Ich kam zurück aus Sayn. Ich musste umsteigen. Aber am liebsten hätte
ich mich neben ihn hingesetzt und geweint... ich war nun fast schon ein alter
Mann geworden, der immer noch "ich" sagte….jener, einst in Blond
aufgebrochen….und nun war ich schon lange auf dem Weg von Blind nach
Grau".
Ernüchternd, melancholisch und präzise, wie der ganze Roman, durch Stadler in
gestochenen Schriftbildern erzählt. Stadler ermöglicht es Lesern und
Leserinnen nun durchweg, auf den Punkt, jenen Mann auf seiner "reise zu
sich", zu einem Ort für sein Leben, an und in dem er sich selbst noch
lebendig fühlen kann, Etappe für Etappe zu begleiten. In einer enger werdenden
Welt, ideologisch, beobachtend, jederzeit bereit, entrüstet auf Worte, auf ein
"Ich" zu reagieren. Ein Leben, ein "Ich", das gefälligst
eine klare Haltung und Aussage zur Welt zu verkünden hat und sich nicht einfach
nur in "Sprachkunst" ergeht. Denn die ist ja "Gewäsch alter
Männer".
"Nun sollten die Bauern auch noch für die Rodungen im brasilianischen
Urwald verantwortlich gemacht werden".
Was Stadler mit Genuss, Ironie du großem "Wortvermögen" immer wieder
einfließen lässt. Und dabei nicht auf halber Strecke stehen bleibt, sondern
durchaus ja auch anklingen lässt, dass all dieses "Neo-Idealistische"
ja im Urgrund Verunsicherung zum Ausdruck bringt. Der jungen Generation, der
gesamten "alten Welt", der Menschen der Gegenwart angesichts
mannigfaltiger Abbrüche all dessen, was bis vor einigen Jahren Sicherheit für
das Leben geben konnte, Ziele, einen ganzen Lebensstil. Ob das an diesem Ort im
Griechenland am Meer noch einmal zu finden sein wird? Oder ob der alternde
Schriftsteller im Buch nur mehr Flucht-Refugien für sich finden wird? Wenn er
überhaupt innerlich etwas findet. Was nicht gesagt ist im Verlauf der Reise und
der Suche.
"Die Wörter "Infinitypool" und "Ithaka" passten auch
nicht so recht zusammen"-
Fazit
Wie auf dieser Welt so manches grundsätzliche nicht mehr zusammenpasst, auch da
zeigt sich Stadler als klarer Bobachter und sicherer Übersetzer angesichts
einer Welt, die aus den Fugen gerät und nur mehr erkennen lässt, dass die Jagd
nach dem letzten Euro das einzig bestimmende noch zu sein scheint.
Da passt es bestens, dass "Heimweh" eines der drängendsten Gefühle
des Protagonisten sein wird. Aber was wäre denn jenes "Heim" heute?
Denn das Vergangene ist eben, was es ist. Vergangen und nur noch in der
Erinnerung zugänglich. Und so ist der Roman am Ende mehr als eine Frage
zwischen "Kultur", "Kommerz" und dem eigenen Leben in mehr
und mehr "äußerer Fremde". Es ist auch ein Blick auf eine
entgleisende Welt, der mit der Achtung vor dem Schönen und Künstlerischen, mit
der aggressiven Hektik eines nur noch "Meinungs-Schreiens" ihre eigene
Orientierung mehr und mehr diffundieren lässt.
Eine klare und deutliche Leseempfehlung.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. Mai 2023 2023-05-24 11:20:26