Das Staatsverständnis hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder
grundlegend gewandelt. Der klassische moderne Staat, der sich spätestens mit
der französischen Revolution ausgebildet hat, scheint sich inzwischen in
Auflösung zu befinden, wenn man die zahlreichen politischen, historischen und
soziologischen Publikationen zu diesem Themenkomplex sieht. Wer war der Vater
des modernen Staatsbegriffes, der einen "starken Staat" als unbedingte
Notwendigkeit erkannte und pries? Dies war kein anderer als der - häufig zu
Unrecht - verleumdete Niccolo Machiavelli. Sein Staats- und Politikverständnis
wird in diesem Band der interessanten Reihe (die auch weitere politische Denker
von Thomas Hobbes bis Karl Marx portraitiert. Als (Mit-)herausgeber fungiert mit
Herfried Münkler einer der besten Kenner Machiavellis in Deutschland. Er hat
die meines Erachtens fundierteste und umfangreiche deutschsprachige Biographie
über Niccolo Machiavelli verfasst.
Wem jedoch diese Biographie zu umfangreich ist und wem andererseits die - knappe
- Skizze des politischen Denkers Machiavelli durch Herfried Münkler in
"Klassiker des politischen Denkens Band 1" (herausgegeben von Hans
Maier und Horst Denzer) zu kurz ist, der ist mit dem voriegenden Sammelband
meines Erachtens hervorragend bedient.
Zunächst arbeiten die Herausgeber (neben Münkler, Rüdiger Voigt und Ralf
Walkenhaus) die Modernität Machiavellis heraus. Er war der Ahnherr einer
empirisch-pragmatischen Politikwissenschaft, was sich vor allem durch sein
Hauptwerk "
Il
Principe" (Der Fürst) belegen lässt.
Zunächst arbeiten die Herausgeber im einleitenden Kapitel biographische
Stationen Machiavellis, sein politisches Umfeld im Florenz der Medici, seinen
Aufstieg nach Vertreibung der Medici 1498 und sein Wirken bis zu seinem Sturz
1512 nach Rückkehr der Medici an die Macht heraus. Hierbei wird auf seine
Tätigkeit als politischer Beamter, als Militärreformer (er war Befürworter
einer Bürgermiliz und lehnte die bisherigen Söldnerheere der Condottieri ab)
sowie als Diplomat unter der Regierung Piero Soderinis heraus.
Seine bedeutendsten Leistungen vollbrachte Machiavelli als Schriftsteller nach
seiner Verbannung nach 1512 bis zu seinem Tode 1527. Seine Rezeption und
Wirkungsgeschichte wird in dieser Einleitung kurz gestreift. Dabei wird
zutreffend herausgearbeitet, dass im Gegensatz zur politischen Philosophie des
Altertums und des Mittelalters nicht die Erkenntnis der guten Staatsform und des
moralisch guten Regierens die Bedeutung und Modernität Machiavellis ausmacht:
"Der Machiavellismus überwindet diese pejorative Auffassung und stellt die
machtmäßige Bewältigung der Gegenwart in das Zentrum des Politischen."
(S. 22). Genau dies macht seine Bedeutung bis heute aus. Er ersetzt das
christliche Vertrauen in den Sinn der Geschichte durch eine säkularisierte
Sicht der Dinge, die nüchtern und realistisch den "Nutzen" kühler
Machtpolitik im Sinne eines "Utilitarismus" wertneutral darlegt. Daher
sind seine Schriften bis heute vielfach gelesen und - durchaus unterschiedlich
und kritisch, jedenfalls häufig zu undifferenziert und einseitig - rezipiert
worden, wie das Kapitel "Rezeption und Wirkungsgeschichte" deutlich
macht. Am Beispiel der Machiavelli-Rezeption Friedrichs des Großen im
"Antimachiavell" wird dies von Peter Nitschke in einem eigenen Aufsatz
hervorragend verdeutlicht. Es zeigt sich, dass Machiavelli ein
uneingeschränkter Befürworter des starken Staates ist, dessen Interesse
absoluten Vorragen vor den Interessen der Religion und Moral habe. Daher gilt
Machiavelli auch als der Begründer des Begriffes der "Staatsraison",
wie Rüdiger Voigt in einem eigenen Aufsatz: "Im Zeichen des Staates"
gut herausarbeitet. Zweifellos ist dieser Ansatz das "Neue", das
"Moderne", ja das "Umstürzlerische" am Denken Machiavellis.
Fazit
Die Aufsätze des vorliegenden Werkes machen dem Leser eindringlich klar, dass
es sich bei Niccolo Machiavelli um einen der umstrittendsten, aber auch
modernsten Staatsdenker handelt. Nicht umsonst formulierte Theodor Schieder im
Jahre 1970, Machiavelli sei der eigentliche Begründer einer "Wissenschaft
von der Politik". Ebenso wie Platon strebte Machiavelli nach
allgemeingültigen Erkenntnissen und analysierte vor allem die
Erfolgsbedingungen politischen Handelns vor dem Hintergrund von Politik und
Geschichte. Im Gegensatz zu Platon - dies wird von den Herausgebern völlig
korrekt bilanziert - stellte Machiavelli die politischen Verhältnisse so dar,
wie er er sie vorfand, ohne philosophische oder theologische Überhöhung.
Insofern kann sein Realismus in der Tat als Begründung einer modernen,
empischen Politikwissenschaft betrachtet werden - und dies macht ihn meines
Erachtens zum wichtigsten politischen Denker der Neuzeit.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 22. Juli 2004 2004-07-22 17:15:21