Trauma-Heilung braucht mehr als Reden und Erkennen
Ein Trauma zu erleiden, dazu bedarf es keiner Teilnahme am Krieg oder Opfer
eines Kidnapping zu sein. Vielfältig sind die alltäglichen Trauma, denen
Menschen, oft ohne es genau fassen zu können und gar ohne es zu wissen,
ausgesetzt sind. Verletzungen, die tief in der Person liegen, die von dort
dennoch das Verhalten, das Denken, die Emotionen stark du nachhaltig
beeinflussen. Sexuelle negative Erfahrungen in der Kindheit, tief verdrängt.
Gewalterfahrungen in der Kindheit, nicht selten von den eigenen Eltern
initiiert. Seelisch "unten gehalten worden" aus mannigfaltigen Motiven
heraus und dies zwar im körperlichen und emotionalen Verhalten durchaus ja
ausdrückend, aber sich selbst dabei nicht bewusst zu sein als später
erwachsener Mensch. Ebenso wie das Miterleben von körperlicher Gewalt an
geliebten Personen oder das Aufwachsen im Dunstkreis von Drögen und Alkohol. Um
nur die gewichtigsten Auslöser von Trauma aufzuführen, denen von der Kolk in
seiner beruflichen Laufbahn nachspürte und die er behandelte.
"Traumatische Erlebnisse hinterlassen Spuren, unabhängig davon, ob sie in
größeren Zusammenhängen (wie in unserer Geschichte und in ganzen Kulturen)
oder in unserm unmittelbaren Umfeld oder in unseren Familien
stattfinden".
Dabei wirken sich Traumata nicht nur auf die direkt betroffenen Menschen aus,
sondern auch auf deren nahstehendem Umfeld. So ziehen die Spuren von Traumata
ihre Kreise über Jahre und Jahrzehnte hinweg, übertragen sich gar auf die
nachfolgenden Generationen. Dass sich dies noch lange nach dem konkreten
Ereignis in der Ausschüttung von Stresshormonen, destruktiven Verhaltensweisen
und emotionalen Krisen neiderschlägt, ohne dass die genauen Ursachen konkret
erfasst werden können, gehört zum Wesen des Traumas dazu. Wie die Forschung
der letzten Jahre und Jahrzehnte unmissverständlich aufzeigt. Und dies
behindert nicht nur eine freie und konstruktive Entwicklung der Persönlichkeit,
sondern zerstört sogar in breiten Teilen gerade jene konstruktiven Versuche,
dauerhaft festen Boden unter die "inneren" Füße zu bekommen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist eine der Grunderkenntnisse van der Kolks.
Dass es eben nicht "die eine" immergleiche und erfolgreiche
"Methode" zur Traumbearbeitung gibt, die dann jedem Patienten hilft.
Sondern dass Trauma-Therapie immer individuell ausgerichtet werden muss. Auch
wenn, wie dieses wesentliche und zentrale werk zeigt, eine Art "roten
Faden" der Therapie durchaus gibt. Fundiert und ruhig, Schritt für
Schritt, führt van der Kolk dann in die "Untiefen" der Traumata. Was
man grundlegend darüber sagen kann. Was das eigene Gehirn über das Trauma sagt
(bis hin zum Verlust des Körpergefühls und des eigenen "Selbst").
Wie sich Traumata entwickeln im "Geist des Kindes" und wie man später
"Trauma-Spuren" erkennen und diesen folgen kann, um den verursachenden
Ereignissen und deren konkrete Folgen zumindest ein wenig habhaft zu werden. Was
eine Voraussetzung für eine Transformation jener "Verbiegungen" ist.
Und, am Ende, wie Wege zur Genesung konkret aussehen können.
Um sich Körper, Emotion und das Selbst wieder zu eigen zu machen, durch EMDR
sich von der Vergangenheit in technisch stringenter und wirksamer Form lösen zu
können und damit zu beginnen, die Einzelteile zusammenzufügen (im Konzept des
Selfleadership), neue (oder überhaupt erst einmal) Strukturen zu schaffen und
am Ende das Gehirn "neu zu vernetzen" im Rahmend es Neurofeedback als
Methode. Wobei van der Kolk immer darauf achtet, den "Körper" mit
einzubeziehen und eindringlich davor warnt, allein auf der Ebene der Sprache zu
verbleiben. Integrative Körpertherapie (from muscle to brain) und
Körperachtsamkeitsübungen wie Yoga gehören nicht nur am Rande ergänzend zur
"Heilung", sondern bilden zentrale Elemente derselben. Wozu im
emotionalen Bereich natürlich ebenso zentral die wohlwollende Beziehungsarbeit
gehört.
Fazit
Ein wahrliches Grundlagenwerk, dass zum Standard der Traumatherapie entweder
bereits gehört oder umgehend werden wird. Und was für den Leser zudem auch
einen hervorragenden Einblick ermöglicht, wie weit Traumata verbreitet sind.
Und damit auch im eigenen Leben eine gewichtige Rolle spielen dürften.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 17. April 2023 2023-04-17 15:19:49