Der militärische Konflikt in der Ukraine bildet einen tiefen Einschnitt in die
Friedensordnung des 20./21. Jahrhunderts. Für die Staaten, die der westlichen
Staatengemeinschaft zugerechnet werden, war es ein Signal und unliebsamer
Wachrüttler gleichermaßen. Auch wenn es zunächst einen entschiedenen
Schulterschluss gab und gibt, wie wird diese Bewährungsprobe weitergehen? Auf
den Weg "des Westens" (gemeint sind i.d.F. die Staaten mit
demokratischer Grundordnung v.a. in Europa, Amerika und Ozeanien) bis in die
aktuelle Krisensituation, wirft Susanne Schröter, als Autorin des vorliegenden
Buches, einen kritischen Blick.
Die habilitierte Ethnologin und Islamforscherin betrachtet zunächstf die
Entwicklungen der westlichen Staatengemeinschaft, die unter der Führung der USA
aus ihrer Sicht in den zurückliegenden Jahrzehnten einen Kurs mit Irrungen und
Wirrungen vollzogen hat. Die Zeiten der bipolaren Weltordnung während des
Kalten Krieges endeten mit der Auflösung der Sowjetunion, und dennoch war es
nicht das ein wenig vorschnell propagierte "Ende der Geschichte"
(Fukuyama), wie man heute weiß.
Mit Blick auf die aktuelle Krise (Ukraine-Krieg) wird ein langer und durchaus
nicht immer geradliniger Weg der westlichen Staatengemeinschaft in den letzten
Jahrzehnten offenbar. Die gescheiterten Missionen in Afghanistan und Mali werfen
die grundsätzliche Frage auf, ob sich Demokratie exportieren (oder vielleicht
besser gesagt: transplantieren) lässt. Dass sich der zunehmend aufkeimende
Islamismus als Herausforderung darstellt, wird nicht nur am Beispiel der fatalen
Ereignisse des 11. September 2001 verdeutlicht. Weitere Aspekte, die thematisch
angegangen werden sind der Umgang mit Rassismus, Antisemitismus,
Migrationspolitik. Auch geopolitische Sachverhalte und, nahezu
selbstverständlich, die Themen Menschenrechte, Energie und Feminismus werden
nicht ausgespart. Abschließende Einschätzungen zur Zukunft des Westens runden
das Buch inhaltlich ab.
Fazit
Es ist eine Art "Rundumschlag", in deren Zentrum die demokratischen
Staaten der westlichen Welt und ihr praktisches Tun den zugrunde liegenden
Intentionen gegenüber gestellt werden. Spannend und mit spitzer Feder
geschrieben, spart die Autorin keineswegs mit Kritik. Wohltuend dabei ist aus
meiner Warte, dass es sich bei den Argumenten nicht um
"Besserwisserei" oder einen "Verriss" handelt, sondern um
triftige Sachargumente. Natürlich aus der Retrospektive und hier argumentiert
es sich natürlich leichter, als zu den Zeitpunkten, zu denen die betreffenden
Entscheidungen anstanden. Nichts desto trotz: es handelt sich in der Tat um ein
wirklich thesenstarkes Buch (und somit wird der Leserschaft in der Tat nicht zu
viel versprochen), das auch unliebsame Punkte und Meinungen nicht ausspart. Eine
echte Bereicherung und ein Werk, das den Leser geradezu zum Diskurs auffordert.
Man muss also den Ansichten der Autorin keineswegs in allen Punkten folgen und
liest trotzdem ein inhaltlich erstklassiges Buch!
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
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veröffentlicht am 27. Oktober 2022 2022-10-27 20:23:13