Mit diesem Roman von Kristin Harmel wurde mir der jetzt deutscher Übersetzung
erschienene Folgeroman von »Das letzte Licht des Tages« empfohlen. Ich musste
erfreulicherweise festellen, dass er nicht weniger spannend ist.
Jona wird im Alter von zwei Jahren von ihren deutschen Eltern in Berlin geraubt
von einer alten Frau. Es ist 1922, doch die Herrschaft der Nazis wirft ihre
Schatten voraus. Die über 80jährige Entführerin bringt das kleines Mädchen
in die Wälder von Polen an die Grenze von Belaruss und erzieht das Kind im
jüdischen Glauben. Jona lernt das Leben, das Überleben im Wald. Sie lernt
keine Menschen kennen, aber um so mehr Sprachen. Als die Alte im Alter von 102
Jahren stirbt, tobt bereits der zweite Weltkrieg, auch um die Wälder herum.
Jona wandert alleine weiter in den Wäldern umher, doch sie trifft auf Menschen,
jüdische Menschen. Sie muss schlimme Erfahrungen machen, nachdem sie einer
kleinen Familie geholfen hat, diese sich von ihr abwendet, dann aber von den
Deutschen hingerichtet wird. Jona beginnt zu verstehen, warum ihr gelehrt wurde,
Menschen mit äußerster Vorsicht zu begegnen. Dennoch kommt sie nicht umhin,
weiteren jüdischen Flüchtlingen, die aus den Ghettos vor den deutschen Nazis
geflohen sind, zu helfen. Sie kennt sich im Wald aus. Es wird ihre
Lebensaufgabe.
Kristin Harmel hat erneut einen extrem dramatischen, dennoch unterhaltsamen
Roman geschaffen, der einen realen historischen Hintergrund hat. Während die
Geschichte und die Figuren komplett fiktiv sind, hat es die verschiedenen
Flüchtlingsgruppen, die sich im Wald vor den Deutschen versteckten,
tatsächlich gegeben. Die größte von ihnen umfasste sogar 1.200 Mitglieder,
von denen fast alle den Krieg überlebt hatten. Der Anführer dieser Gruppe
stand der Autorin beratend bei Recherchen zur Seite.
Für die Spannung im Roman sorgt nicht nur der Konflikt zwischen den Deutschen
und die Juden. Der ist zwar das tragende Element, aber die Konflikte innerhalb
der Flüchtenden und zu Jona, die selbst nicht aus einem Ghetto kommt, sind
zusätzlich Treibstoff für den Drive in der Handlung. Auch zarte Liebesbande
werden harten Zerreißproben unterzogen.
Der Roman »Das Verschwinden der Sterne« ist ein schwerer Roman mit einem sehr
ernsten und traurigem Thema, aber Kristin Harmel hat ihn auch in der
Übersetzung von Veronika Dünninger so wunderschön geschrieben, dass er trotz
aller geschilderten Gräueltaten leicht zu lesen ist. Die Spannung um die
Protagonisten schafft es, dass man gar nicht lange an die schrecklichen Dinge
denken kann.
Aufschlussreich sind in diesem Buch zweifellos auch die Hinweise zu Entstehen
des Romans und den Recherchen. Sie geben einen Blick hinter die Kulissen einer
Schriftstellerin.
Fazit
Ein wunderschöner Roman mit einer herzergreifenden Geschichte, in dem es zwar
um Verbrechen geht, der aber dennoch ein Kriminalroman ist.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 03. September 2022 2022-09-03 09:56:31