Schwestern-Suche
Es hat einen langen Vorlauf genommen. Drei Thriller des Autors bereits kreisten
um Atlee Pine, FBI Agentin mit einer Vorliebe für die Provinz, weil hier die
Bürokratie weit weg ist und die Action noch wie in alten Zeiten ruft. Drei
Bände, in denen der rote Faden immer mitschwang, dass Atlee das Drama ihrer
Kindheit aufklären will, ja, für ihren Seelenfrieden aufklären muss. Und nun
nähert sie sich. Ihrer damals, in Kindertagen entführten und verschwundenen
Schwester Mercy. Denn nun Besitz sie handfeste Spuren, Namen und kann den Weg
ihrer Schwester von damals Schritt für Schritt nachgehen und das Geschehen
rekonstruieren.
Wobei der Leser durch David Baldacci "im Vorsprung" gehalten wird,
denn in der anderen, wichtigen Erzählperspektive des Thrillers erlebt der Leser
die Gegenwart auch aus den Augen jener Mercy, die sich kaum mehr erinnert,
jemals Mercy geheißen zu haben. Aber groß und stark, hart im Nehmen und
Austeilen, daran kann sich die Frau auf jeden Fall erinnert und weist dies auch
fast täglich nach. Aus guten Gründen und furchtbaren Erlebnissen heraus ist
sie geworden, was und wie sie ist.
"Desiree hatte eine Vorliebe dafür gehabt, allen Lebewesen, die ihr in die
Finger kamen, Brandwunden zuzufügen: Hunden, Katzen…..aber am allerliebsten
ihr" - doch die Frau war entkommen. Nicht einfach, aber entflohen. Und war
seitdem auf der Hut. Immer. Aus Prinzip. "Überleben, Mit diesem Gedanken
schlief sie ein. Wie fast jeden Abend".
Doch nun tritt vielfaches Leben in diese Form des Überlebens und nicht alles,
was passiert, ist erwünscht oder könnte sich zum Guten wenden. Ein Mord
geschieht. Atlee kommt ihrer lange verschollenen Schwester näher. Die davon
nichts ahnt und sich überaus anstrengen müsste, sich an jene kleine Atlee zu
erinnern. Dafür aber im Lauf der Ereignisse unter mordverdacht gerät und nicht
nur von der Polizei gesucht, gejagt wird.
Das dazu auf Atlees Seite der Geschichte noch ein Grab auftaucht, in dem nicht
jener liegt, von dem Sie und alle anderen ausgegangen waren, verkompliziert
alles noch, bietet aber auch neue Ermittlungsfäden. Die drängen, denn
Geschwindigkeit wird im weiteren Verlauf des Thrillers zu einem wichtigen
Faktor, um noch eingreifen zu können, bevor ihre "verlorengegangen
Schwester" droht, endgültig noch verloren zu gehen.
Fazit
So verquicken sich die Erzählstränge, laufen zum Finale des Thrillers hin an
einem Punkt und Ort zusammen. Ein Weg, auf dem Baldacci geschickt Personen
einführt, durchaus auch mal wieder fallen lässt, überraschende Wendungen mit
einbaut und, vor allem, jener Mercy vielfache Facetten und Differenzierungen
verleiht. Die nicht alle einen angenehmen Charakter darstellen, den Leser aber
emotional der Frau mit dem furchtbaren Schicksal, aber auch einer unbeugsamen
Stärke, nahebringen.
Andererseits tauchen, das soll nicht verschwiegen werden, hier und da spürbare
Längen im Thriller auf und, hier und da, benötigen die Perspektivwechsel auch
einige Momente der "Wieder-Orientierung". Was aber am Ende der
spannenden und gut erzählten Lektüre kaum Abbruch zufügt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 19. Juni 2022 2022-06-19 12:28:07