Bewegungen und Berührungen als Impulse für Erkenntnisse und Veränderung
Schon im Kleinkindalter lassen sich die wesentlichen und zentralen Entwicklungen
körperlicher Nähe und Distanzen leicht nachweisen. Ein zentrales Moment des
menschlichen Lebens, der eigene Körper und dessen Wahrnehmung, welches sich
durch das Leben zieht und immer wieder auch Möglichkeiten der Be- und
Verarbeitung gibt. So wird deutlich, dass körperliche Distanz im Kleinkindalter
mit eine der zentralen Ursachen psychischer Störungen darstellt. Egal, ob diese
sich bereits umgehend oder erst im Lauf des späteren Lebens manifestieren.
"Berührung ist nicht allein ein Urbedürfnis des Neugeborenen, sondern
auch des erwachsenen Menschen. Dieser braucht sie bis zu den letzten Phasen
seines Lebens"
Demgegenüber steht die Beobachtung, wie vernachlässigt der Körper (fast)
generell in den menschlichen Gesellschaften ist. Er bekommt Aufmerksamkeit meist
erst dann, wenn er "nicht mehr" oder "gerade nicht"
funktioniert. So beginnt Dold seine interessanten, nachvollziehbaren und
"aus der Praxis für die Praxis" entstanden Darlegungen mit einer
fundierten Einführung in den notwendigen Dialog mit dem eigenen Körper. Wie
Körpererfahrungen aufmerksam wahrgenommen und gedeutet werden können und damit
auch die körperliche Ebene als integraler Teil des gesamten Bewusstseins ihr
Recht findet.
"Der Beziehungskörper ist die Erkenntnisquelle und auch ein Königsweg zum
Unterbewussten"
In sehr verständlicher Abfolge und auch sprachlich eingängig, bringt Dold im
Weiteren alle Bereiche der "Körperarbeit" im Sinne einer
Bewusstwerdung und als Bestandteil therapeutischer Prozesse zu Gehör. Im
Wechselspiel der Abfolgen zwischen Grundlagenwissen und gut erklärten Übungen.
Um die Sinneswahrnehmungen zu schärfen, um die Körperarbeit als
"Systemarbeit" vor die Augen des Lesers zu legen. Um dann überzugehen
in eine folgerichtig und logisch empfundene Integration der Körperarbeit in die
Abläufe der systemischen Therapie, um am Ende eine "Veränderung des
Systems durch Körperarbeit" konstatieren und für den Leser
nachvollziehbar vorzulegen.
Eine interessante, in Teilen gar spannende zu lesende Zusammenfassung all
dessen, was seit Jahren bereit in einzelnen Elementen in verschiedenen
psychotherapeutischen Richtungen mit aufgenommen worden ist und nun als
komplettes System in diesem Werk vorliegt. Mit dann konkreter und praktisch
orientierter Impulse und Methoden für die Nutzung der Körperarbeit bei der
Arbeit mit depressiven Patienten, in der Begegnung mit Abhängigkeiten, bei
Zwangsstörungen und "Intellektualisierung".
Besonders intensiv kann dabei die körperliche Ebene im Anblick "sich
auflösender Systeme" (Scheidungen, Trennungen, Verlusterfahrungen,
Druck-Erfahrungen) als hilfreiche Intervention und
"systemverändernde" Komponente vor Augen geführt werden.
"Scheidung spaltet sogar den Körper". Wobei auch fast
"normal" wirkende Lebenssituationen wie "Jobnomaden-Systeme"
nicht spurlos am Körperbewusstsein vorbeigehen.
Dass dabei als erster Momente des "Einstiegs" weniger der Patient im
Mittelpunkt steht (und "Sinneserfahrungen zu lernen hat"), sondern
Dold immer wieder den im therapeutischen Bereich tätigen Lesern die eigenen
Wahrnehmungen des Körpers und des eigenen Körperbewusstseins angesichts von
Verhaltensweisen von Patienten "übersetzt und deutet", bietet
vielfache Impulse, jenen "Eingebungen" mehr und mehr zu vertrauen, die
der eigene Körper im Umgang mit Patienten als beschreibbare Körpererfahrungen
vermittelt.
So dass im besten Falle ein fließender Austausch von eigenem Körpererleben und
Nutzung dieses Erlebens durch klare, bildkräftige Mitteilungen an den Patienten
insgesamt ein "System des Körperbewusstseins" umfassend im
therapeutischen Prozess zum Tragen kommt.
Fazit
Eine hervorragende Darstellung der Bedeutung des körperlichen Erlebens, der
Öffnung des Zugangs zu diesem Erleben und vielfacher praktischer Verweise und
"Sprachhilfen" für die Körperarbeit in der (nicht nur) systemischen
Therapie.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 05. April 2022 2022-04-05 13:12:58