Der Autor bedient sich in seinem Debütroman eines eher ungewöhnlichen Genres
der Kriminalliteratur, um eine gewisse gesellschaftliche Kritik zu äußern,
nämlich das Genre des Gangsterromans. D. h. Verbrechen ja, Ermittlungen eher
nur am Rande. Darauf muss man sich als Leser einlassen, gibt dem Roman aber eine
sehr schöne Würze.
Im Wesentlichen bekommen wir es mit drei Hauptfiguren zu tun, die aus dem
Underground von Brooklyn stammen. Sie sind in dieses Milieu hineingeboren,
kennen gar nichts anderes. Für sie ist es selbstverständlich, dass sie ihren
Lebensunterhalt mit Kriminalität verdienen.
Da ist zunächst Shecky. Er wünscht sich eine Familie. Ganz klassisch mit
gemeinsamen Mahlzeiten, gemeinsam Beisammenstehen usw. Er ist das Oberhaupt der
Familie und vermisst auch nach vielen Jahren immer noch seine Schwester. Shecky
hat sich ein Unternehmen aufgebaut, welches gut funktioniert, aber nach strengen
Regeln abläuft. Er betreibt Geldwäsche im großen Stil. Dabei wäscht er nicht
sein eigenes Geld, sondern bietet dies als Dienstleistung für alle möglichen
Kunden an. Beispielsweise überall da, wo ein Firmeninhaber mit viel Schwarzgeld
hantiert. Die Transfers des Geldes über mehrere Konten und an Scheinfirmen,
übernimmt Shecky mit seinem darauf spezialisierten Unternehmen.
Harry ist ein Junge, den Shecky zur Betreuung als Bewährungshelfer aufgenommen
hat. Harry ist für ihn wie ein Sohn. Er bekommt all seine Liebe und all sein
Wissen. Shecky bringt ihm alles bei, was er seinem "Sohn" nur
beibringen kann. Harry ist der beste Mitarbeiter im Geldwäscheunternehmens
seines "Onkels", wie er Shecky nennen soll. Er heuert Kuriere an,
bringt ihnen das Handwerkszeug bei, stattet sie mit Wegwerfhandys aus. Harry ist
der Mann für alles in der Firma, denkt aber, er wird nicht gut bezahlt.
Die jüngste, die Shecky in die Familie aufgenommen hat, ist Kerasha. Kerasha
ist 23 Jahre alt und hat gerade 6 Jahre im Knast hinter sich. Als Kleptomanin
muss sie ihre Therapiesitzungen noch bei einem Psychiater absolvieren, um von
der Sucht des Klauens geheilt zu werden. Kerasha ist noch nicht voll in den
Familienbetrieb integriert worden. Sie muss nach den sechs Jahren erst mal mit
der Freiheit klarkommen. Und mit dem fehlenden Heroin. Aber an das Ritual der
gemeinsamen Frühstücke und Abendessen hat sie sich schnell gewöhnt.
Brian Selfon hat ein besonderes Bild von Brooklyn gezeichnet, welches sich
vielen Menschen nicht auf den ersten Blick erschließt. Das ist nicht nur die
Selbstverständlichkeit, wie hier mit Kriminalität Geld verdient wird. Es sind
auch die zahlreichen Verstecke, Unterschlüpfe und toten Briefkästen, die sich
dem Auge eines normalen Bürgers oder gar Touristen gänzlich entziehen. Wer
erwartet schon in einem alten Zeitungskasten, dass sich darin eine Nottasche mit
Revolver, Geld und mehreren Pässen oder Führerscheinen befindet? Mit vielen
Details und sehr authentisch schildert Selfon ein ungewöhnliches Bild von
Brooklyn und seinen Bürgern.
Die Polizei scheint machtlos zu sein. Sie kann sich nicht um alle kleinen
Verbrechen kümmern, die in der Drogen- oder Prostituiertenszene tagtäglich
geschehen. Auch die Polizistin Zera, die als Kind aus Montenegro in die USA
verschleppt wurde, verzweifelt an den Machenschaften des Menschenhandels.
Dieser besondere Schmelztiegel Brooklyn, wie ihn Brian Selfon als düstere
Schattenseite präsentiert, hat mich ein wenig an die chaotische Familie in der
TV-Serie "Shameless" erinnert. Eine Familie voller Verlierer, die
dennoch das Beste aus ihrem Leben herausholen wollen.
Der Stil von Brian Selfon ist unterhaltend, enthält auch humorige Sequenzen.
Man kann ihm gut folgen. Zeitliche Sprünge und Rückblenden werden gut
bekanntgemacht, so dass man die jeweilige Szenen sehr gut in die gesamte
Geschichte einordnen kann.
Fazit
Ein sehr guter Roman für Leser, die nicht immer nur einen 0-8-15-Krimi lesen
möchten und gerne auch mal hinter die Kulissen der Handlungsorte schauen
möchten.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 28. März 2022 2022-03-28 09:17:54