Die Terroranschläge auf die USA am 11. September 2001 haben es für jedermann
sichtbar gemacht: es gibt eine neue Kriegsform. Die sogenannten klassischen
Staatenkriege, die die Szenarien des Kalten Krieges während der
Ost-West-Konfrontation geprägt haben, gehören der Vergangenheit an. Die
Staaten haben als "Monopolisten des Krieges" faktisch abgedankt. An
ihre Stelle treten immer häufiger paastaatliche, teilweise sogar private
Akteure, etwa Warlords, Söldnerfirmen und internationale Terrornetzwerke, die
Kriege führen. Die sogenannten "neuen Kriege" sind außerdem durch
die sogenannte "asymetrische Kriegsführung" gekennzeichnet. Dies
bedeutet, dass in der Regel nicht mehr gleichartige Gegner miteinander kämpfen.
Es gibt keine Fronten mehr, sodass sich die militärischen Kräfte nicht
aneinander reiben, sondern sich gegenseitig schonen und die Gewalt stattdessen
gegen die Zivilbevölkerung richten. Formen des Partisanenkrieges, die dadurch
gekennzeichnet sind, dass es im Gegensatz zu den "alten Kriegen" keine
"Entscheidungsschlacht" im herkömmlichen Sinne gibt, die zu einem
Ende des Krieges und zu einem fest definierten Waffenstillstand und späteren
Frieden führen, kennzeichnen die neuen Kriege. Die "neuen Kriege"
entwickeln sich überwiegend an den Rändern und Bruchstellen der einstigen
Imperien und in Regionen, wo eine stabile Staatenbildung nicht stattgefunden
hat. So ist es laut Münkler kein Zufall, dass dort, wo eine solche stabile
Staatenbindung stattgefunden hat, wie in Westeuropa und Nordamerika, Zonen
dauerhaften Friedens entstanden sind, während dort, wo es nicht zur Entstehung
einer "robusten Staatlichkeit" gekommen ist, Kriege entstehen.
Münkler zeigt auf, dass zur Entstehung neuer Kriege mehrere Ursachen
zusammenwirken und die Kriege und ihre - im Vergleich zu den klassischen
Staatenkriegen sehr viel längere - Dauer durch ein schwer durchschaubares
Gemenge aus persönlichem Machtstreben, ideologischen Überzeugungen,
ethnisch-kulturellen Gegensätzen sowie Habgier und Korruption verursacht worden
sind. Dies ist auch laut Münkler der Grund dafür, der es so schwer macht,
diese Kriege zu beenden und einen stabilen Friedenszustand herzustellen. Im
Gegensatz zu den sogenannten "Staatenbildungskriegen" (wozu Münkler
etwa den amerikanischen Bürgerkrieg zählt) und den
"Staatszerfallkriegen" in der Dritten Welt oder der Peripherie
zwischen Erster und Zweiter Welt besteht laut Münkler darin, dass die
Staatenbildungskriege ohne größere Einflüsse von außen verlaufen sind,
während letztere durch ständige politische Einflußnahmen von außen am
"Kochen" gehalten werden. Dramatische Züge habe die Entwicklung
insbesondere dadurch erhalten, dass zum traditionellen Tribalismus die neuen
Formen der Globalisierung, der sogenannten Schattenglobalisierung, hinzugekommen
seien. Die "neuen Kriege" dauerten - so Münkler - vor allem deshalb
so lange, weil äußere Faktoren (Unterstützung einer Kriegspartei durch
ideologisch verwandte Regime oder neue Formen der Schattenglobalisierung, d.h.
der wirtschaftlichen Unterstützung von außen, etwa Emigrantengemeinden) die
Erschöpfung der Kriegsparteien verhinderten. Ohne Anlehnungsmächte währe die
lange Kriegsdauer etwa in Angola, dem Sudan, Afghanistan oder Sri Lanka nicht
möglich. Es handelt sich in all diesen Fällen um lange inergesellschaftliche
Kriege. Münkler stellt auch fest, dass nicht die Armut die Gefahr einer
Eskalation von Gewalt und dadurch den Ausbruch von Kriegen begünstigt, sondern
soziale Ungerechtigkeit Konflikte und Kriege begünstigt. Dies bedeutet konkret,
dass das Nebeneinander von bitterem Elend und unermesslichem Reichtum ein
aussagekräftiger Indikator für die Wahrscheinlichkeit, mit der
innergesellschaftliche Auseinandersetzungen in offene Bürgerkriege umschlügen,
darstellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Bürgerkriege nicht nach einem
kurzen und heftigen Gewaltausbruch enden, sondern sich zu lange währenden
transnationalen Kriegen auswachsen, steigt in dem Maße, wie auf dem umkämpften
Territorium Bodenschätze vermutet werden, die durch ihre weltwirtschaftlihe
Vermarktung Quellen des Reichtums für jene werden könnten, die sie notfalls
auch mit Gewalt unter ihre Kontrolle bringen.
Hinzu kommt die Gefahr des internationalen Terrorismus. Terrorismus wird durch
Münkler dadurch charakterisiert, dass er eine Form der Gewaltanwendung
darstellt, die wesentlich über die indirekten Effekte der Gewalt ERfolge
erringen will. Sie sind gekennzeichnet durch die sogenannte asymetrische
Kriegsführung. Die klassische Kriegsführung war dadurch gekennzeichnet, dass
im Prinzip gleichartige Gegner ihre Gleichartigkeit anerkannten und sich dadurch
"in Schach hielten". Im Ost-West-Konflikt erkannten beide Blöcke,
dass sie sich gegenseitig vernichten konnten. Dies führte zu
Rüstungswettläufen, aber auch zu Rüstungsbegrenzungsvereinbarungen oder
Abrüstungsschritten. Bei den sogenannten "neuen Kriegen" jedoch, dem
Partisanenkrieg, dem Terrorismus oder der Intifada können militärisch
überlegene Staaten gegen sogenantne "asymmetrische Strategien" nichts
ausrichten, wie Vietnam, Afghanistan oder die Terroranschläge des 11. September
2001 gezeigt haben. Hierin, in sogenannten aufgezwungenen asymmetrischen
auschverhältnissen, legt auch der wichtigste Grund dafür, dass die neuen
Kriege so billig sind und darum so leicht zu beginen sind. Die "klassischen
Staatenkriege" waren dadurch gekennzeichnet, dass es zwar zeitweilig
informelle und parteill auch kriminelle Ökonomien, etwa Schwarzmärkte, gab,
die jedoch mit der Normalisierung der Verhältnisse nach einem Krieg mit
wachsendem Warenangebot und einer stabilen Währung wieder verschwanden.
Während die "klassischen Staatenkriege" sich nicht mehr lohnen, weil
die Gewaltanwendung für jeden der Beteiligten mehr kostet, als sie einbringt,
sind die "neuen Kriege" für viele der Beteiligten (etwa Firmen, die
am Krieg verdienen) so lukrativ, weil die Gewalt ihnen kurzfristig mehr
einbringt als sie kostet - die langfristigen Kosten haben andere zu tragen.
Fazit: Der zwischenstaatliche Krieg sei heute ein historisches Auslaufmodell und
dies könnte auch für das heutige Völkerrecht zutreffen, von dem die USA unter
Bush junior sich schrittweise verabschiedeten. Territorial gebundene
Staatlichkeit hat, wie schwach sie auch immer sein mag, den Effekt, dass die
Verletzung zwischenstaatlicher Regeln und internationalen Rechts sanktionierbar
ist. Netzwerkorganisationen wie Al Qaida jedoch sind mit den üblichen
Sanktionen nicht zu treffen, und selbst Militärschläge können ein solches
Netzwerk nicht zerreißen oder seine Funktionsfähigkeit nachhaltig
beeinträchtigen. Die Strategie der Terrorismusbekämpfung kann daher nur ein,
durch Wiederherstellung stabiler Staatlichkeit die Verwurzelungsmöglichkeiten
für terroristische Netzwerke systematisch zu minimieren und auf diese Weise die
Existenz- und Operationsbedingungen von Terroristen zu beschränken.
Dies sind - kurzgefasst - die Hauptthesen des Buches. Natürlich können hier
bestimmte Thesen nur stichwortartig angerissen werden. Der
"Fundamentalismus des Terrors", wie es der frühere Berater der
britschen Premierministerin Thatcher, Grey, formuliert hat, wird hier lediglich
gestreift. Terrorismus ist sicherlich auch die Reaktion von Ängsten - besonders
im arabischen Raum, durch die Globalisierung die eigene Identität zu verlieren.
Hierauf machte kürzlich - zu recht - die Wochenzeitung: "Die Zeit"
aufmerksam. Münkler konzentriert sich zu sehr auf militärische und
ökonomische Aspekte der "neuen Kriege", die gesellschaftlichen und
sozialen Ursachen - die Münkler zwar auch als Kriegsursachen anerkennt, in
seiner Analyse jedoch nur streift, kommen mir in dieser 284-Seiten-Abhandlung
etwas zu kurz.
Fazit
Insgesamt jedoch ein sehr wichtiges Buch, welches die Gefahren und
sicherheitspolitischen Herausforderungen, die durch die "neuen Kriege"
entstehen, erschreckend ins allgemeine Bewußtsein rückt. Dies ist das
Verdienst des Autors. Daher vergebe ich 9 Punkte.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 28. Juni 2004 2004-06-28 19:57:26