Herfried Münkler hat den Begriff der "neuen Kriege" mit seinem 2002
erschienenen Werk einer breiten Öffentlichkeit bewußt gemacht. Seine
diesbezügliche Hauptthese ist, dass es sich in den seltensten Fällen um
zwischenstaatliche Kriege im klassischen Sinne handelt, sondern um
transnationale Kriege, die eine Gemengelage aus Staatenkrieg und Bürgerkrieg
bilden.
Ist nun Clausewitz Theorie des Krieges geeignet, das Phänomen der "neuen
Kriege" und des internationalen Terrorismus zu begreifen? Im Gegensatz zum
Jerusalemer Militärhistoriker Martin van Creveld, dessen Werk: "Die
Zukunft des Krieges" bereits 1991 geschrieben und 1998 in deutscher
Übersetzung veröffentlicht wurde, bilanziert Münkler, dass Clausewitz Theorie
hoch aktuell sei und besser geeignet sei, die neuen Formen des internationalen
Terrorismus zu erklären wie aktuelle Werke, die dieses Phänomen zu begreifen
versuchen (Münkler bezieht sich auf Samuel Huntingtons Clash of Civilizations).
Warum? Clausewitz definiert Krieg als "Akt der Gewalt, um den Gegner zur
Erfüllung seines Willens zu zwingen." Nur in diesem Kontext sei
Clausewitz' berühmter Satz vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen
Mitteln zu begreifen. Vollständig zitiert lautet er: "So sehen wir also,
dass der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches
Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen
desselben mit anderen Mitteln." Hier werde - so Münkler korrekt - der
Wille der Kämpfenden als ein politischer Wille identifiziert, und auf dieser
Grundlage werden militärische Entscheidungen den Vorgaben der Politik
untergeorndet. Nun sei dieser Primat der Politik von der ursprünglichen obigen
Definition des Krieges als Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres
Willens zu zwigen, nicht zwingend. Auch habe Clausewitz zwar dazu tendiert, das
Politische mit dem Begriff des Staates zu identifizieren, jedoch - entgegen
Crevelds Annahme - nicht durchgängig.
Clausewitz Werk sei von starker analytischer Präzision geprägt gewesen, wie
seine Unterscheidung der Begriffe Strategie und Taktik sowie zwischen Angriff
und Verteidigung beweise.
"Die verteidigende Form des Kriegführens", so konstatiert Clausewitz,
"ist an sich stärker als die angreifende", dafür habe sie im
Erhalten jedoch nur einen negativen, der Angriff im Erobern dagegen einen
positiven Zweck. Clausewitz definiert den Begriff der Verteidigung darum als
stärkere Form mit dem schwächeren Zweck und den Angriff im Gegensatz dazu als
die schwächere Form mit dem stärkeren Zweck. Damit komme auch die Politik hier
wieder ins Spiel, der die Aufgabe zufalle, die "Hauptlineamente des
Krieges" zu bestimmen: "Wer stark genug zu sein glaubt, sich der
schwächeren Form zu bedienen, der darf den größeren Zweck wollen; wer sich
den geringeren Zweck setzt, kann es nur tun, um den Vorteil er stärkeren Form
zu genießen."
Wenn man nun die Begriffe "negativ" und "positiv"
wertneutral betrachtet und als "negativ" als "Erhalt des Status
quo" definiert und "positiv" in dem Sinne interpretiert, dass im
Angriff ein fest definiertes, positiv gesehenes Ziel gemeint ist (denn Eroberung
kann aus heutiger historischer Sicht meines Erachtens kein "positives"
Ziel sein) und die Zeit berücksichtigt, in der das Hauptwerk von Clausewitz:
"Vom Kriege", auf welches Münkler sich in seinem Vortrag bezieht,
berücksichtigt (erstes Drittel des 19. Jahrhunderts), so hat Clausewitz mit
seiner Definition von Angriff und Verteidigung sicherlich einen wichtigen
Beitrag zur Ursachenforschung von Kriegen geleistet. Dies konstatiert Münkler,
ohne die von mir oben gemachten Einschränkungen hinzuweisen. Münkler hätte
auch die Nähe zwischen der Definition des Krieges durch Clausewitz und der
Definition von Macht im Sinne Max Webers hinweisen können. Macht ist laut Weber
die Fähigkeit, seinen Willen gegen den Willen anderer durchzusetzen. Krieg ist
also, wenn die obige Definition von Clausewitz angewandt wird, ein
Machtinstrument.
Hier wird die ungeheure Aktualität von Clausewitz' Denkansatz deutlich und hier
machen Münklers Bemerkungen durchaus Sinn: ausgehend von Clausewitz
Kriegsdefinition als Akts der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres
Willens zu zwingen, definiert Münkler den Begriff des neuen internationalen
Terrorismus als Kampfesweise, die aus einer Position der Schwäche heraus den
Versuch unternehme, in der schwächeren Form den stärkeren Zweck [also der
Definition des Angriffs nach Clausewitz; B.N.] zu verfolgen, und die dies nur
kann, weil sie mit radikalen Auflösungen und Umdefinitionen arbeitet. Die
Planer der Terrorattacken vom 11. September 2001 hätten Gewalt angewandt, um
ihren Gegner, die USA, zur Erfüllung ihres Willens zu zwingen. Dieser Wille
dürfte darin betehen, die USA zum Rückzug ihrer militärischen, aber auch
wirtschaftlichen kund kulturellen Präsenz aus den arabisch-islamischen Ländern
zu zwingen. Zwar müsse der Begriff "Schlacht" durch
"Massaker" ersetzt werden und die symmetrische Konfrontation gleich
gerüsteter Gegner sei durch asymmetrischen Gewalteinsatz abgelöst worden, was
das Kennzeichen der "neuen Kriege" sei (dies führt Münkler
ausführlicher in jenem Buch aus). Ansonsten treffe die Clausewitzsche
Definition von Krieg, Angriff und Verteidigung zu. "Eine solche durch die
Clausewitzsche Theorie angeleitete Analyse der jünsten Formen des
internationalen Terrirismus scheint mir jedenfalls erheblich prognosefähiger
und rationaler zu sein als die kulturalistisch imprägnierten Spekulationen, die
seit geraumer Zeit ins Kraut schießen." Man werde sich der Herausforderung
durch den neuen internationalen Terrorismus jedenfalls ehr gewachsen zeigen,
wenn man sich bei seiner Bekämpfung an Clausewitz statt an Huntington halte.
Dieses Fazit von Münkler kann ich nur teilen.
Ein interessantes Buch, welches allerdings Clausewitz Theorien generell nur
äußerst knapp, wenn auch präzise, abhandelt. Außerdem hätte neben der
Definition des Krieges auch der Begriff der "Macht" und der des
"neuen internationalen Terrorismus" in die Analyse mit einbezogen
werden müssen.
Fazit
Ansonsten sehr lesenswert, da es die Aktualität von Clausewitz Theorie des
Krieges - erschreckend - verdeutlicht.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 28. Juni 2004 2004-06-28 19:53:55