Kein Forschungsgebiet im Bereich der Politikwissenschaft hat sich - unter dem
Eindruck der Auflösung der Blöcke nach Ende des Ost-West-Konfliktes und neuer
Bedrohungen durch den Internationalen Terrorismus - in den letzten 15 Jahren so
stark verändert wie das der internationalen Beziehungen. Dies wird besonders
deutlich, wenn man bedenkt, dass es seit dem PVS-Sonderheft: "Theorien der
Internationalen Beziehungen" aus dem Jahre 1989 keine Publikation gab, die
den neuesten Forschungsstand auf diesem Gebiet reflektierte. Wohl gab - und gibt
es - zahlreiche Einführungen in die Theorien der Internationalen Beziehungen,
meines Wissens gab es aber seit 1989 kein Werk, welches den Forschungsstand auf
diesem Gebiet - Zielgruppe sind fortgeschrittene Studierende des Faches -
komplett wiedergab.
Diese Lücke wird - was den Forschungsstand in Deutschland angeht - mit dem
vorliegenden sehr anspruchsvollen und theorieorientierten Sammelband -
geschlossen. Der Anspruch, eien "schnellen, aktuellen und doch
anspruchsvollen Überblick über den Stand der Dinge" zu erhalten wird
meines Erachtens erfüllt.
Zunächst untersucht Michael Zürn die Entwicklung des Faches seit Erscheinen
des PVS-Sonderheftes von 1989, wobei er konstatiert, dass das Fachgebiet
innerhalb der sozialwissenschaftlichen Landschaft in Deutschland an Bedeutung
gewonnen habe und nicht mehr rein amerikanische Publikationen passiv rezeptiert
würden.
Peter Mayer untersucht die sogenannte "Dritte Debatte" der
Internationalen Beziehungen, in der die sogenannten Positivisten und
Post-Positivisten über die epistemologischen Grundlagen des Faches streiten und
warum diese "Dritte Debatte" im Gegensatz zur Debatte um die
Theorietraditionen Realismus-Konstruktivismus im deutschen Raum kaum
wahrgenommen wurde.
Thomas Risse untersucht, welche Herausforderung der Konstruktivismus für die
anderen Theorien in dem Fach Internationale Beziehungen darstellt und stellt en
Stand der konstruktivistischen Forschung überblicksartig dar. Ebenfalls mit dem
Konstruktivismus als Theorie beschäftigt sich der Beitrag von Antje Wiener. Sie
untersucht, welchen Mehrwert die konstruktivistische Forschung für die
Theoriebildung in den Internationalen Beziehungen bedeutet.
Die Friedensforschung hat nach Ende des Ost-West-Konfliktes und der
Herausforderung durch den internationalen Terrorismus an Bedeutung gewonnen,
wenn man etwa die Bücher des Berliner Politikwissenschaftlers Herfried Münkler
zur Theorie der Kriege betrachtet. Christopher Daase zeigt in seinem Beitrag,
dass die Erforschung von Krieg und politischer Gewalt in den letzten fünfzehn
Jahren Fortschrite gemacht hat und insbesondere die noch junge
Kriegsfolgenforschung erste Erkenntnisse über das Lernen im Krieg, die
Auswirkungen unkonventioneller Kriegsführung auf Akteure und Strukturen sowie
über die Privatisierung und Kriminalisierung politischer Gewalt in so genannten
Bürgerkriegsökonomien entwickelt hat.
Harald Müller von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
unterscuht in seinem Beitrag Begriff, Theorien und Praxis des Friedens und geht
dabei auch auf den Forschungsstand zum Thema: "Demokratischer Frieden"
und das Konzept der Zivilisierung ein.
Detlef F. Sprinz gibt einen Forschungsbericht zum Thema Internationale Regime
und Institutionen, wobei er den deutschen Beitrag zur Internationalen
Regimeforschung als prägnant und sichtbar würdigt.
Joachim Betz untersucht deutsche Beiträge zur Entwicklungstheorie seit dem Ende
des Ost-West-Konfliktes und bilanziert ebenfalls, die deutsche Forschung habe
durchaus eigenständige und empirisch belegbare Beiträge zu dem Thema
geliefert.
Sebastian Harnisch untersucht theorieorientierte Außenpolitikforschung in einer
Ära des Wandels und meint, der Begriff einer "Generationenmetapher"
treffe den Wandel der deutschen Außenpolitikforschung besser als das Bild eines
"Paradigmenwechsels." Die Debatte sei in den 1990-ger Jahren durch
facettenreiche Theoriediskurse angereichert worden, was für die Rückbindung an
die politikwissenschaftliche Forschung als nützlich anzusehen sei.
Martin List und Bernhard Zangl unterscuehn die Verrechtlichung internationaler
Politik, Frank Schimmelfennig geht in seinem Beitrag auf den Begriff der
"Internationalen Sozialisation" im Rahmen der konstruktivistischen
Theorie ein.
Über den Zusammenhang von Globaisierung und Waohlfahrtstaat informiert
kompetent Philipp Genschel, Christoph Scherrer stellt jüngere
Theorieströmungen in der Tradition marxistischer politischer Ökonomie dar,
Markus Jachtenfuchs unterscuht in seinem Beitrag: "Regieren jenseits der
Staatlichkeit" governance-orientierte Paradigma der Forschung, die sowohl
das Regieren im internationalen System wie auch das Regieren innerhalb des
Staates umfassen.
Andreas Nölke unterscuht und bewertet den in der Forschung in den
Internationalen Beziehungen anzutreffenden Gegensatz zwischen Regierungszentrik
und Translnationalismus und unterscuht Möglichkeiten einer Synthese der beiden
Theorieansätze.
Mathias Albert sieht in seinem Beitrag: "Entgrenzung und internationale
Beziehungen" eine Chance der Neukonstituierung des Faches zu einer
"Wissenschaft des Globalen" im Sinne einer Neuorientierung des
Faches.
Klaus-Dieter Wolf und Gunther Hellmann untersuchen im abschließenden Beitrag
die Zukunft der Internationalen Beziehungen in Deutschland und versuchen,
thematische Schwerpunkte für die künftige Forschungstätigkeit in diesem Fach
zu skizzieren und bei der zukünftigen Forschung deutschsprachige Vorsprünge in
bestimmten Bereichen fruchtbar zu machen.
Fazit
Insgesamt ein wichtiger Band zu dem Thema Internationale Beziehungen, welcher
auf lange Zeit das Standardwerk des Faches bleiben dürfte.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 28. Juni 2004 2004-06-28 19:51:52