Nahezu perfekt erzählt
Je älter, desto reifer, souveräner und besser, so könnte man Stephen King
aktuell in den Blick nehmen. Oder gereift in der Art und Weise, Figuren, ein
Coming of Age, Entwicklungen, Strategien und die Geschichte selbst vor die Augen
des Lesers zu führen. Was immer schon eine Stärke Kings war, was nun in den
letzten Jahren noch eleganter auf Buchseiten gebannt wird.
Das dabei die frühen Kennzeichen von Horror und Gruselgeschichten, dass dabei
das "Übernatürliche" kaum mehr Raum einnimmt, passt in diese
Entwicklung. Denn, auch wenn die Figuren wie hier Billy Summers oder jene
Figuren der letzten Jahre besondere Lebensweisen schon noch in sich vereinen,
finden diese weitgehend rein "innerweltlich" statt ohne an Spannung
oder Überraschungsmomenten zu mangeln. Und auch die zweite Seite Kings,
weitgehend oft und oft Entwicklungsromane zu schreiben aus der Sicht von Kindern
oder Jugendlichen findet im neuen Werk seinen Platz. Auch wenn Alice bereits 21
Jahre zählt und damit erwachsen ist, in manchen Passagen des Buches, bestens in
Szene gesetzt durch eine notwendig werdende "äußere Verjüngung"
findet sich auch dieses Markenzeichen Kings im Werk.
Dass zum Ende hin auch ein ehemals bekanntes und nun eher nicht mehr vorhanden
Hotel seinen Platz als Zitat aus dem Kanon Kings findet oder ein Bild dich einen
Hauch "dunkler Kräfte" verströmt, ist eher nebensächlich und
dennoch keinesfalls Fehl am Platz.
Und auch, wenn man zunächst das Gefühl hat, dass das erste Finale der
Geschichte quasi ein gutes Ende markieren würde, lässt man sich gerne ein paar
Seiten später von King überzeugen, dass noch ein Faden der Geschichte offen
ist. Wobei es weniger um jene Person dabei gehen wird, die zu guter Letzt noch
ihrer Bestrafung zugeführt werden muss, sondern vor allem darum, dass Billy
Summers selbst seinen Faden noch zu Ende erzählen muss. Was am Ende zwei Fäden
sind. Einer real, einer möglich und für den Leser dann ein Trost, auch eine
andere Variante des Endes zumindest denken zu können.
Jener ruhige, melancholische, sich dumm stellende, eigentlich aber smart und
klug agierende Mann, der als Buch im Buch in genau der richtigen Länge, ohne
die Entfaltung der eigentlichen Geschichte zu stören, den Leser mit auf die
Reise seines Lebens auch vor diesem "letzten Auftrag" nimmt.
Ein Auftragskiller mit ethischen Maßstäben. Einer, der immer unter dem Radar
agiert, der mit dem Gewehr fast Wunder vollbringen kann, sich mehr und mehr aber
in einer Gemengelage wiederfindet, die ihn an allem Zweifeln lässt. Sei es
durch die Nähe zu neuen Nachbarn sei es durch die Fürsorge für jene Alice,
deren Problem er nicht lösen kann (zu tief geht die Gewalttat an ihr), deren
Verursacher er aber ohne großes Aufhebens davon überzeugt, besser von nun an
"gute Menschen" werden zu wollen.
Ein Auftragsmord mit langem Vorlauf. Ein Finden zu sich selbst. Eine Liebe, die
so nicht gehen wird, ein Plan, den der Leser mit Spannung verfolgt und dabei
genießt, wie King durchgehend ein optimales Erzähltempo mit genau der
richtigen Mischung aus Differenzierung der Figuren, Erläuterung deren
Lebensgeschichte und die stetige Entfaltung der Figuren in den Ereignissen um
Buch vorlegt.
Dass dabei Spannungsbögen entstehen, die wunderbar angekündigt und dann
entwickelt werden, ohne auf die King'sche "Breite" zu verzichten,
macht am Ende im Gesamten diese Lektüre zu einem hochwertigen Erlebnis.
Fazit
Ein Buch, das von der Höhe der Schaffenskraft Kings zeugt und auch für Leser,
die bisher einen Bogen um King gemacht haben (falls es das gibt), einen
optimalen Zugang zur typischen Erzählweise Kings verschaffen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. September 2021 2021-09-07 16:10:58