Auf der Suche nach dem Glücklichsein
"Ich will ein Glanz werden!" So beginnt das zweite Buch "Das
kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun, veröffentlicht 1932. Doris, die
Protagonistin in diesem Roman, ist eine liebenswerte, pragmatisch denkende, 18
jährige junge Frau. Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, will sie ihrem
bisherigen Leben entfliehen. Zuerst legt sie sich "ein schwarzes, dickes
Heft zu". Darin will sie ihre zukünftigen Erlebnisse festhalten. Nicht im
Sinne eines Tagebuches, sondern als eine Art Drehbuch ihres Lebens: "Aber
ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so
sein." Sie stiehlt einen teuren Pelzmantel aus einer Theatergarderobe und
flieht damit, nun vornehm gekleidet, nach Berlin.
Mit ihrem scharf beobachtenden, nüchternen, aber humorvoll und witzigem
Schreibstil schildert die Autorin Doris' Leben in der Großstadt. Staunend –
naiv, ohne Wertung, reflektiert sie in einer unbefangenen Weise ihre Gedanken
und Erfahrungen. Sie erzählt über den Gegensatz zwischen allen
Gesellschaftsschichten, über Reiche und Arme, über Liebe und Verlassenheit.
Die Schriftstellerin vermittelt einerseits einen Eindruck über die politisch
– sozialen Verhältnisse im Berlin der beginnenden Dreißiger Jahre,
andererseits bekommt der Leser einen guten Einblick in die gesellschaftliche
Stellung, Lebensweise und Ansehen der Frauen.
Mit großer Anteilnahme begleitete ich die Protagonistin auf ihrer Odyssee durch
Berlin. Eine junge Frau, die weg von Armut und "unsittlichem Fluidum"
kommen will, begibt sich auf den Weg in eine Großstadt. Trotz vieler
ernüchternder Erfahrungen bewahrt sie sich ihre Gutmütigkeit, ihren Mut und
ihren Wunsch, einfach einen lebens-und liebenswerten Platz in der Welt zu
finden: "Ich möchte gern furchtbar glücklich sein."
Irmgard Keun, geboren 1905 in Berlin, war eine Vertreterin der Literaturepoche
"Neue Sachlichkeit." 1931 veröffentlichte sie ihren ersten Roman
"Gilgi – eine von uns" der sofort ein großer Erfolg wurde. Ihr
mitreißendes zweites Buch wurde ebenfalls in der Literaturbranche sehr
gewürdigt. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten beendete ihre
erfolgversprechende Karriere. Die Bücher wurden beschlagnahmt und vernichtet.
1936 emigrierte die Literatin. 1940, aus dem Exil zurück gekehrt, lebte sie bis
zu ihrer Wiederentdeckung zurückgezogen und unbekannt. Mitte der Siebziger
Jahre sorgte ein Journalist durch einen Artikel in der Zeitschrift
"Stern" dafür, daß sie wieder populär wurde. Ihre Bücher wurden
wieder gedruckt und verkauft; es fanden Lesungen und Interviews statt. 1981
bekam sie als erste den neu ins Leben gerufenen Marieluise – Fleißer Preis
der Stadt Ingolstadt. Sie wollte eine Autobiographie schreiben. Doch dazu kam es
leider nicht. Irmgard Keun starb 1982 in Köln an den Folgen eines Lungentumors.
Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Friedhof Melaten in Köln.
Fazit
Der Roman ist jedem zu empfehlen, der Interesse an den Gefühlen einer jungen
Frau hat, die in einer von Männern dominierten Zeitepoche lebt.
Vorgeschlagen von Heike Jaschhof
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veröffentlicht am 06. September 2021 2021-09-06 06:51:51