Verzweigtes kriminelles Netz mit hohem Bedrohungspotential
Eigentlich empfindet Lazare diese Abkommandierung als reine Schikane. Wie sonst
soll es ein erfahrener Kriminaler auffassend, wenn sein Direkttor, Gridoux, ihn,
Siso Lazare in die Provinz nach Séte sendet um ein einfaches "nicht nach
Hause Kommen" eines jungen Mädchens mit aufzuklären? Ein Einsatz, der im
Übrigen nicht nur damit begründet wird, dass Lazare einigermaßen arabisch zu
sprechen versteht. Sondern auch, dass damit der Hintergrund des jungen Mädchens
als moslemisch gesetzt ist und dies in den gegenwärtigen Zeiten durchaus an
sich schon von Bedeutung sein könnte.
"Wenn Sie einen Beruf suchen, der ihnen erlaubt, sich nur die Rosinen
herauszupicken, sind Sie bei der Polizei am falschen Platz". Ein klares
Machtwort, bei dem Gridoux sich ebenso wie Lazare (noch) nicht bewusst sind,
dass es bei diesem Fall um alles andere, aber nicht um Rosinen handeln wird.
So macht sich Lazare nach Séte auf und Schritt für Schritt entfaltet Hültner
nun vom ersten Eintreffen des Kommissars bei den Kollegen (wenig begeistert
über die Einmischung von Außen) ein immer breiter verzweigtes Netz krimineller
Strategien und Aktivitäten, die deutlich mehr als nur das Leben eines jungen
Mädchens in Gefahr bringen. Und da umgehend auch der inzwischen aus den
Lazare-Thrillern bekannte Richter Simoneau umgehend Kompetenzen an sich zieht
(was tut man nicht alles für eine wenig Presse und Aufmerksamkeit), erschweren
nicht nur die "Gegner da draußen" Lazare das Leben, sondern auch
"nach Innen" muss er achtsam bleiben. Was alles nicht verhindert, dass
er sich nach kurze Ermittlungszeit bereits das erste Mal in der Klinik im Bett
wiederfindet, Niedergeschlagen auf dem Weg, die Spuren des Mädchens zu finden
und ihnen zu folgen.
Was das alles damit zu tun hat, dass Schüsse in den Bergen fallen, eine Katze
tot aufgefunden wird und ein Mann hoch erregt über den Zustand seiner Böden
ist, die er kaufte, um ein Geschäft Schritt für Schritt aufzubauen, scheint
zunächst gar nichts mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun zu haben. Doch
wer Hültner kennt, bleibt auch hier aufmerksam, denn auch dieser Fall ist auf
mehreren Ebenen mit verschiedenen anderen Ereignissen verbunden. Wozu auch die
hintergründigen Interessen der Kripo-Staatsschutzabteilung in Person des
Commandant Bernard de Soto gehören.
So entfaltet sich am Ende nie ganzer Reigen von verschiedenen Interessen, die
mal mehr, mal nur am Rande mit dem Verschwinden der jungen Frau und der
moslemischen Gebetsgemeinde zu tun haben werden, denen Lazare als erstes auf der
Spur ist. Bis es Hültner, wie auch im ersten Thriller um Siso Lazare, wieder
einmal gelungen ist, ein komplexes Bild der Wirklichkeit der Moderne dem Leser
vor Augen zu führen, dass am Ende den Glauben an das Gute im Menschen wiederum
erschüttert und auch die Hoffnung auf "Happy Ends" bei Verbrechen
nichts vollends unterstützen wird.
Denn wo man um Kommissar Lazare auch hinschaut, es geht nur um eigene
Interessen, um das "schnelle" und möglichst "viele" Geld,
um Eitelkeiten auch bei Ermittlern und deren Verfolgung teils ebenfalls
weitgehend eigener Interessen. Wie in seinem gesamten Werk führt Hültner auch
in diesem Thriller die politischen Motivationen, die Gier der Menschen, die
Strategien im Dunkeln und den fast "verlorenen Posten" des
"Guten" umfassend vor Augen.
Fazit
Hültner bietet Tiefgang, fundiertes Wissen, Spannung zum Ende hin und
überraschende Wendungen, die es verschmerzen lassen, dass wieder einmal kein
klarer, stringenter und überschaubarer Fall zu Grunde liegt, sondern der
Thriller durchaus auch an manchen Stellen zu sehr diffundiert.
Im Gesamten eine sehr anregende und empfehlenswerte Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 16. Juli 2021 2021-07-16 15:30:00