Die von Mariam T. Azimi in Form eines Romans erzählte Geschichte hat mich zu
Einblicken geführt, deren so detailreiche Situationen mir in dieser Weise neu
waren. Dafür muss man wahrscheinlich ganz persönlich mit solch einer Situation
der Migration ausländischer Mitbürger zu tun haben.
Die Protagonsitin dieses Romans ist Wana, die aus Afghanistan stammt. Ihre
Eltern flohen mit ihr aus der Heimat, als noch die Russen gegen die Taliban dort
kämpften. Vor der Wende in Deutschland. Ihr Vater hat sich damals mit seiner
Familie entzweit, weil er besser dort bleiben und kämpfen sollte anstatt nach
Deutschland zu gehen.
Als Kind empfand Wana noch beim Zusammenwachsen der beiden Deutschlands ein
Wir-Gefühl, was dann aber schnell kaputt gemacht wurde. Spätestens, als ihre
Schwester Nila von "wir" und "die Deutschen" sprach, hatte
Wana begriffen, dass es Menschen verschiedener Klassen gibt. Aber sie wusste
nicht, zu welcher dieser Klassen sie selbst gehörte. Mit afghanischen
Traditionen, die ihre Mutter verteidigte und pflegte, kam sie nicht klar. Sie
fühlte sich modern und deutsch, wurde von den Deutschen wegen ihres Aussehens
aber nicht akzeptiert. Es war und ist ihr anzusehen, dass sie Migrantin ist.
Mariam T. Azimi beschreibt die Entwicklung eines jungen Mädchens bis zum
Erwachsenwerden. Die Verhältnisse innerhalb einer Familie zwischen Großeltern,
Eltern und Kindern werden genauso in das Thema einbezogen wie die Zugehörigkeit
zu verschiedenen Gesellschaften, wie die der afghanischen und die der
deutschen.
Diese Konflikte werden von Mariam T. Azimi mit wohlgeformten Sätzen und
sicherlich aus ihrer ganz persönlichen Perspektive geschildert. Dabei wird dem
Leser klar, dass das Festhalten an alten Traditionen auf der einen Seite und der
Aufbruch in die Moderne, westliche Gesellschaft einen unverrückbaren Konflikt
darstellt, der in jeder Einwandererfamilie, aber nicht nur dort, in mehr oder
weniger ausgeprägter Form vorkommt.
Bei der Protagonsitin führten diese Konflikte zu Depressionen, aus denen sie
sich langsam zu befreien scheint. Sie ist bis zum Schluss auf der Suche nach
sich selbst und ihren Platz in der Gesellschaft.
Notwendigerweise arbeitet Mariam T. Azimi mit Rückblenden. Um die
Verhaltensweisen in der heutigen Zeit plausibel darstellen zu können, ist die
Kenntnis des Geschehens in der Vergangenheit unbedingt notwendig.
Fazit
Mich hat dieser Roman sehr beeindruckt, weil ich viel Neues über das Innere
einer Einwandererfamilie gelernt habe. Es waren Ereignisse, die mir unter die
Haut gingen, die darüber nachdenken lassen, warum so mancher Einwanderer zum
Messer greift und wild um sich schlagend andere Menschen verletzt und tötet.
Ein empfehlenswerter Roman mit sehr viel Feingefühl.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 09. Juli 2021 2021-07-09 11:11:44