Im letzten Regierungsjahr Boris Jelzins flüchten in St. Petersburg eine junge
Mutter und ihre kleine Tochter vor ihren Bewachern. Kristina wurde offenbar in
der eigenen Wohnung gefangen gehalten und rätselte darüber, wie der Einfluss
ihres Mannes aus dem sibirischen Straflager bis in ihre Stadt reichen konnte.
Fast 20 Jahre später verschwindet in St. Petersburg die angebliche schwedische
Studentin Zena Dahl, deren Biografie für eine Frau ihres Alters erstaunlich
leer wirkt. Wie realistisch ist es, dass die Frau in "Piter" niemand
gekannt haben will, werden sich die zuständigen Ermittler fragen. Für das
internationale Ansehen der Touristenhochburg kommt der Fall ungelegen; der
entsprechende Druck auf die Ermittler lässt sich leicht vorstellen. Frau
Hauptmann Natalja Iwanowa leitet die Ermittlungen. Misstrauisch beäugt, seit
sich ihr Vater und ihre Schwester Claudia nach Deutschland abgesetzt haben, ist
Natalja an einem Tiefpunkt ihres Berufslebens angekommen, desillusioniert von
Gewalt und Korruption in ihrem Staat. Privat geht es ihr und ihrem Mann Michail
(der auch Polizist ist) kaum besser. Weil Michail das Schmiergeld für den
Schuldirektor nicht rechtzeitig gezahlt hat, wurde Sohn Anton gerade
zwangsexmatrikuliert. Hochinteressant entwickelt sich der Fall der Zena Dahl,
deren Wohnung offenbar sorgfältig gereinigt wurde. Als Natalja und ihr Team
feststellen, welch einflussreicher Mann Zenas Vater ist, tappen sie dennoch
weiter im Dunkeln, welches Motiv evtl. Entführer angetrieben haben könnte. In
einem korrupten Staat verwundert es nicht, dass eine andere Behörde die
Ermittler zurückzupfeifen versucht, die offenbar Interessen höherer Kreise in
die Quere gekommen sind.
Da ihr Mann Michail der einzige ernstzunehmende Konkurrent von Nataljas neuem
Vorgesetzten ist und sie selbst - in Deutschland aufgewachsen - als politisch
unzuverlässig gilt, befindet die Kommissarin sich in einer heiklen Situation.
Einziger Lichtblick scheint ihr Kriminaltechniker Primakov zu sein, der ihr
zugleich als gewiefter PC-Wizard zur Seite steht. Nach einem aufregenden wie
komplizierten Zick-Zack-Rennen zwischen Handlungsfäden, Vermutungen der
Ermittler, Irrtümern und neuen Vermutungen ist zwar die erfahrene Ermittlerin
von der Auflösung zu verblüffen, für Absons Leser dagegen kommt die
Auflösung des Falls weniger überraschend.
Fazit
G. D. Absons Serieneinstieg spielt u. a. 1999, dem letzten Jahr der Regierung
Boris Jelzins, an einem im Krimi-Genre noch unverbrauchten Schauplatz mit
eigenem Charme. Von Natalja Iwanowa als Ermittlerin mit ungewöhnlichem
Lebenslauf verspreche ich mir eine fesselnde Fortsetzung der Serie.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 06. Juli 2021 2021-07-06 06:15:16