Dies ist ein großer Roman über den amerikanischen Westen und das Leben dort.
Es ist ein Entwicklungsroman und ich hatte Lust auf die Weiten in den USA. Schon
beim Titel verspürte ich so ein Gefühl von »Früchte des Zorns«. Geschildert
wird das Erwachsenwerden von August, genannt Augie, in einem Zeitraum von etwa
elf bis einundzwanzig Jahren. Im Prolog beginnt der Roman mit dem Glück seiner
Eltern, als er noch nicht existierte. Dann setzt die Handlung ein, als Augie ein
Junge ist. Die Mutter wohnt in einem alten Gebäude auf der Farm, während der
Vater im neuen, gemeinsam eingerichteten Haus bleibt. Der Vater hat eine
Farmhelferin auf den Hof in Michigan geholt. Doch Lisa ist mehr als eine
Farmhelferin für ihn. Augie sitzt zwischen den Stühlen.
Dann nimmt seine Mutter einen Job im 2000 km entfernten Montana an und Augie
mit. Augie findet neue Freunde, telefoniert ab und zu mit seinem Vater. Manchmal
besucht er ihn auch, verbringt die Ferien dort und arbeitet auf der Farm. Je
älter August wird, umso selbstständiger wird er. Er sucht sich eine neue
Wohnung und einen Job auf einer Ranch. Er lernt Mädels kennen, er baut Mist, er
meistert sein Leben und behält dennoch stets den Kontakt zu seinen leiblichen
Eltern.
Zunächst einmal hat der Roman meinen Erwartungen entsprochen. Das fand ich sehr
schön. Es wird das Hinterland der USA präsentiert. Man könnte meinen, wann
wäre in "Trump Land" angekommen. Teilweise bezeichnen sich die Leute
selbst als Hinterwäldler. Es gibt sogar Verschwörungstheoretiker unter den
Nachbarn. Unterschwellig scheint stets eine dumpfe Gewalt zu existieren. Es
knistert, als würde es gleich explodieren. Das beginnt schon mit der Tötung
von Katzen, für die Augie von seinem Vater je Schwanz bezahlt wird, als er noch
ein kleiner Junge war. Das geschah nicht aus Spaß, sondern weil sich die Katzen
auf dem Hof enorm vermehrt hatten. Es ist aus der Sicht der Menschen eine
Notwendigkeit, in der rauen Welt zu überleben. Die Gewalt setzt sich fort in
Prügeleien um Mädchen, mit Vergewaltigungen, mit dem Streit der Nachbarn. Man
lernt ein Land in »Big Sky Country« kennen, wie man es sich kaum vorstellen
mag. Das hat mir vom Thema des Buches her sehr gefallen.
Bei all dem Genuss, den mir die Lektüre von »Big Sky Country« geboten hat,
hat der Roman doch einen kleinen Makel. Es fehlt eine Story mit dem großen
Konflikt, der am Ende aufgelöst werden sollte. Dabei wird wunderbar der
Lebensweg eines Jungen beschrieben, wie er zum Mann wird. Es gibt sehr viel
Konfliktstoff in den einzelnen Lebensabschnitten, die den Leser von einem
Kapitel zum nächsten treiben. Aber es gibt keinen zentralen Konflikt, der den
Leser zu Beginn aufgezeigt und zum Ende gelöst oder auch nicht gelöst wird.
Das fand ich sehr schade, obwohl es immerhin eine Klammer um die Geschichte
herum gibt. Die Situation nämlich, die zu Beginn des Romans dargestellt wird,
erlebt am Ende des Romans eine Wiederholung in ähnlicher Konstellation. Sie
zeigt dem Leser: Das Leben nimmt seinen Lauf. Eine Situationen, mit der jeder
Mensch leben muss.
Fazit
»Big Sky Country« von Callan Wink ist ein großer und lesenswerter Roman, der
uns die Weiten des Landes aufzeigt und uns über Menschen nachdenken lässt, die
im Grunde gar nicht soviel anders sind, wie wir selbst.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 05. März 2021 2021-03-05 08:28:04