Leidenschaftlich, aber sehr polarisierend
Es ist eine eher einfache Beobachtung, welche die Autoren zugrunde legen bei
Ihrem Resümee des "Corona-Schocks". Wenn ein privater Mensch im Lauf
seines Arbeitslebens Geld verdient, so ist er gehalten, Rücklagen zu bilden (so
überhaupt möglich), um für das "Alter" oder für "schwere
Zeiten" vorzusorgen. Die "guten Jahre" bilden damit das Rückgrat
für die "schlechten" Zeiten. Anders in der globalen Wirtschaft und
auch in Deutschland: Kaum kommt das System (zugegeben, massiv) unter Druck, muss
die Allgemeinheit mit Ihrem Steueraufkommen geradestehen, um der Wirtschaft
"über die schlechte Zeit" zu helfen. Warum bilden sich dort keine
ausreichenden Rücklagen angesichts eines Jahrzehnts intensiver Steigerung der
Geschäfte"?
Eine Beobachtung, welche die Autoren nun zum Anlass nehmen, leidenschaftlich,
teils auch scharf in der Sprache, einen radikalen "Umbau" des Systems
zu fordern. Was einerseits glasklar durch die polarisierende Sprache dem Leer
vor Augen gestellt wird, was aber hier und da auch als übertrieben bewertet
werden könnte und damit einer Reihe überzeugender Analysen der Autoren und
klarer Forderungen die "reale Umsetzung" zunächst erschweren könnte.
"Dabei ist das Buch eine Streitschrift und keine detailliert ausgearbeitete
Transformationsschrift" - das eben gilt es bei der Lektüre zu beachten.
Dennoch lohnt es ungemein, sich diesem werk zu nähern. Alleine schon in der
Frage, das eigene Konsumverhalten kritisch zu reflektieren. Was gar nicht
dogmatisch gemeint ist, sondern eine wichtige Frage ist, inwieweit sich jeder
Einzelne bereits "im Netz" der "kleinen und großen
Belohnungen" verfangen hat, die das aktuelle System unbedingt braucht, um
Konsum-Wachstum zu erzeugen und damit das eigene Geschäftsmodell und den Zwang
nach Rendite zu befördern. Es geht Zeiler als Unternehmer, der aus vielfacher
persönlicher Erfahrung heraus formuliert, dabei weniger um eine
"Abschaffung", sondern viel eher um eine "Weitung des
Blickes" und das Setzen von Werten auch neben die reine Rendite der
Wirtschaftlichkeit.
"Dass wir diesen Tunnelblick (auf Erfolg und Wirtschaften allein) weiten
müssen, das ist die Kernbotschaft des Buches", so formuliert es das
Vorwort und so trifft es zu. "Sie spielen uns eine Scheinwelt vor, in der
Daten und Finanzen die wichtigsten Zutaten zu einer erfolgreichen Wirtschaft zu
sein scheinen – auch wenn niemand davon satt wird".
Das es auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum geben kann, dass
daher die Fixierung auf Rendite zugunsten eines ruhigen und nachhaltigen
Wirtschaftens aufgegeben werden sollte und damit für den Menschen andere
Interessen und Werte eben auch (nicht alleine nur natürlich) wieder in den
Blick rücken sollten, statt der Fixierung allein auf materielle Werte, das ist
die konstruktive Richtung, die Zeiler dabei durch das Buch hindurch verfolgt.
"Prinzipien wie "Eigentum verpflichtet", umgesetzt durch ehrbare
Kaufleute, müssen wieder im Vordergrund stehen". Was im Übrigen keine
Fantastereien sind. Zeiler führt immer wieder Beispiele (wie z.B. die neue
Ausrichtung der Stadt Amsterdam aktuell) an, die zeigen, dass es geht, wie es
geht und das an manchen Orten die Signale der Zeit verstanden worden sind.
Fazit
Auch wenn in keiner Weise ein einfacher Weg beschrieben wird und auch schnelle
Erfolge nicht einfach so möglich sind, bietet Waldemar Zeiler doch vielfachen
Stoff, der anregend und nachdenkenswert traditionelle Werte des Wirtschaftens
neben neue Ideen stellt und damit die marktliberalen Formen der
Wirtschaftsideologie der letzten zwanzig Jahre überaus kritisch bewertet
zurücklässt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 20. November 2020 2020-11-20 11:18:43