"Azi" Bello, aufgewachsen in trostlosen Verhältnissen in London, ist
ein begabter Hacker und kennt das Darknet wie seine Hosentasche. Von Drogen bis
zu Kriegswaffen ist zu Beginn des Jahrtausends im virtuellen Gomorrha alles
zugänglich. Käufer verlassen sich darauf, dass sie ihre Identität und ihren
Standort verschleiern können. Aktuell hat Azi unter dem Nick Jim im Darknet mit
einer virtuellen Identität Vertrauen in einer geschlossenen Gruppe mit
radikalem Weltbild aufgebaut. Jüdische Grundbesitzer, Pädophile,
selbstbewusste Frauen, die Feindbilder wütender junger Männer in Jims
geschlossener Gruppe sind Legende. Mit einem großen Coup will er einen
deutschen Politiker bloßstellen, bevor der in ein politisches Amt gewählt
wird. Seinen verrumpelten Gartenschuppen fern der materiellen Welt verlässt Azi
als begrenzt alltagstauglicher Chaot so selten wie möglich. So kann die junge
Muslimin Munira ihn im realen Leben damit überraschen, dass sie mit einem
Auftrag direkt vor seiner Tür steht. Ihr Cousin Kabir kämpfte beim IS in
Syrien und will - nach dem Tod seines Cousins und Kampfgefährten -
desillusioniert zurück nach England. Im Austausch dafür bietet Kabir brisante
Informationen. Als Medienexperte des IS hat er Videos produziert und in den
Sozialen Medien alle Kanäle bedient.
Eine abenteuerliche Reise führt Azi über Berlin und Athen schließlich an sein
Ziel, um die berühmte Lücke im System zu finden. Die Grenze zwischen großem
Kindskopf und ernstzunehmendem Spezialisten scheint bei Azi mit Mitte 30 noch
fließend zu sein. An der Schnittstelle zwischen Terrorismus und Technologie
wäre es längst Zeit, dass er sich fragt, ob er Muniras Projekt gewachsen ist.
Er hat zu lange isoliert gecodet, ohne sich mit anderen Nerds zu messen.
Entscheidend wird schließlich eine Figur sein, die ausgerechnet Experte für
Glücksspiele ist.
Fazit
Tom Chatfield schafft mit Azi Bello und Munira Khan interessante
Persönlichkeiten. Der Roman changiert zwischen verbrüdernder Wir-Form,
Zynismus, Nerd-Klischees und einem Hang zum Erklären, der für die Zielgruppe
IT-Interessierter jedoch über das Ziel hinausschießt.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 26. Juli 2020 2020-07-26 06:36:48