Nein - kein neues Buch über Trump! Darauf verweist der Autor gleich zu Beginn
des vorliegenden Buches, auch wenn der US-amerikanische Präsident hier und da
im Fokus steht. Und er tut dies zurecht. Das vorliegende Buch von Philip Gorski,
Professor für Soziologie (mit einem Schwerpunkt auf Religionssoziologie) an der
namhaften Yale-Universität, beleuchtet das politische Streben und Verhalten der
amerikanischen Christen. Mittelpunkt der Betrachtungen sind die sog.
"Evangelikalen", die in den USA eine bedeutende Rolle innerhalb der
christlichen Kirchen spielen (um das Wort "dominieren" an dieser
Stelle einmal zu vermeiden).
Die beiden ersten Kapitel befassen sich mit dem Verhältnis, besser gesagt der
"Passfähigkeit" von Christentum als Reliogion und Demokratie als
Staatsform. Wie christlich ist die Demokratie und wie demokratisch ist das
Christentum - das sind die beiden Fragestellungen, denen Gorski auf die Spur
geht. Im Verlaufe des Buches erhält der Leser einen Überblick und einen
Eindruck über die verschiedenen Ausprägungen und Entwicklungen der
US-amerikanischen Kirchen. Interessante Einblicke, verhält es sich in Europa
doch ganz anders. Vergleiche sind daher in der Tat schwer, aber auch hier
erhält der Leser immer wieder hilfreiche Informationen, um zu einem Grundwissen
zu gelangen.
Auch die zahlreichen, sehr unterschiedlichen und teilweise divergierenden,
Einflüsse namhafter Vordenker christlicher Ethik- und Moralvorstellungen werden
aufgeführt. Abschließend beleuchtet der Autor den weißen christlichen
Nationalismus, der in der evangelikalen Bewegung der heutigen Zeit eine
bedeutende Stellung einnimmt. Die alles beherrschende Frage: gelingt es Trump
die weißen Evangelikalen in gleichem Maße hinter sich zu bringen wie vor vier
Jahren? Für den Wahlausgang könnte dies eine entscheidende Rolle spielen.
Fazit
Ich muss zugeben: für mich stellt das vorliegende Buch des Wissenschaftlers die
USA in einem neuen Licht dar. Der Einfluss christlicher Kirchen, insbesondere in
der evangelikalen Bewegung, sind immens. Auch wenn die Tendenzen in den USA
ähnlich verlaufen wie bei uns in Deutschland (immer mehr Menschen kehren den
Kirchen den Rücken), die Bedeutung der evangelikalen Bewegung ist nach wie vor
ungebrochen und auch für das politische Szenario von hoher Bedeutung. Ein wenig
überzeichnet ausgedrückt: wer Präsident werden möchte, muss exakt dies
Klientel für sich begeistern. Da kommt es offensichtlich nur recht, wenn ein
weißer, nationalistisch gesinnter Präsident exakt in das Horn bläst, dass den
weißen Evangelikalen die Richtung zu weisen scheint.
Die Einblicke in die Welt der christlichen Kirchen der USA sind interessant und
verwirrend zugleich. Nur ansatzweise können die zahlreichen Bewegungen und
deren Sichtweisen innerhalb der christlichen Kirchen angedeutet werden. Mehr
würde den Rahmen des kompakt gefassten und flüssig geschriebenen Buches denn
auch sprengen. Der Nicht-Insider fühlt sich an der ein oder anderen Stelle ein
wenig "verlassen", wird dadurch jedoch auch motiviert, einige Passagen
inhaltlich zu vertiefen.
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
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veröffentlicht am 16. Juli 2020 2020-07-16 08:18:09