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Merlin Donald: Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes

Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes

von Merlin Donald
Verlag: Klett-Cotta Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-608-94487-7

Preis: aktuell keine Daten vorhanden
Der Mensch definiert, wer er ist, indem er den Ort bestimmt, von dem aus er spricht: Seinen Ort im Stammbaum, im gesellschaftlichen Raum, in der Geographie der sozialen Stellungen und Funktionen, in seinen engen Beziehungen zu den ihm Nahestehenden und ganz entscheidend auch im Raum der moralischen und spirituellen Orientierung, in dem er die für sich wichtigsten Beziehungen durch das Leben selbst herstellt. Befürworter dieser kommunitaristischen Auffassung, maßeblich vertreten durch den Philosophen Charles Taylor, werden schnell zu dem Schluß kommen, daß eine Gesellschaft von Selbsterfüllern, deren Zugehörigkeiten in immer höherem Maße als widerrufbar angesehen werden, außerstande ist, die zur öffentlichen Freiheit erforderliche starke Identifikation mit der politischen Gemeinschaft oder mit der eigenen Kultur zu tragen. Ganz klar: Es geht mal wieder um die Frage der eigenen Identität und der eigenen Kultur, für die heute mehr denn je klare Antworten gefunden werden müssen.

Der Philosoph Bernard Willms betonte deshalb die Identität als Übereinstimmung mit sich selbst in Erkenntnis und Willen. Identität ist für ihn aber nicht abstrakt, sondern konkret auf der Zeitlinie, d.h. in der Geschichte zu leisten. Diese Identifizierung müsse als Aufbau, nicht als Destruktion des nationalen Selbstbewußtseins vor sich gehen. Sie müsse im klaren Bewußtsein der eigenen (politischen, sozialen, philosophischen) Kultur erfolgen. Merlin Donalds brillantes Buch widerlegt die vorherrschenden Theorien derjenigen Naturwissenschaftler und Diskurs-Philosophen, die das menschliche Bewußtsein als Abfallprodukt der Evolution abtun oder die identitätsstiftende Rolle der eigenen Kultur verneinen. Für ihn sind es gerade die Kultur und das neuronale System, die das menschliche Bewußtsein zu dem gemacht haben, was es ist. Genau dieser hybride Geist macht den evolutionären Vorsprung des Menschen aus. Von den Common-Sense-Theorien, welche die Bedeutung der eigenen Kultur für eine klare Identitätsstiftung reduzieren, dürfe man keine Lösungen erwarten. Der Geist des Menschen habe einen klaren kollektiven Gegenpol, der Menschen, Völker und Länder eindeutig und je verschieden prägt: die Kultur. Folgerichtig definiert der Autor den Menschen als die einzige Gattung auf Erden, deren Individuen ihre Identität aus einem kollektiven Prozess schöpfen. So beruhen die menschliche Einzigartigkeit und die seines Geistes nicht auf biologischer Ausstattung, sondern auf der Fähigkeit, Kulturen zu errichten und sie als prägenden Teil ihrer selbst zu verteidigen.

Als Beleg führt Donald die Frage an, wie es sonst zu erklären sei, daß unser Gehirn dem anderer Primaten so stark ähnelt und ihm doch so dramatisch überlegen ist? Der Autor zeigt die Vielschichtigkeit des Bewußtseins auf und erläutert, wie es sich auf der Grundlage der Kultur entwickeln konnte. Zugleich rücken damit die Grundfragen politischer Philosophie ins Zentrum und werden auf einen Dualismus zugespitzt, der ganz klar eine Entscheidung fordert: Es geht um die Gegenüberstellung von Liberalismus (Individualismus) und Kommunitarismus (Gemeinschaftsdenken). Das paradoxe des menschlichen Daseins bestehe darin, daß der Mensch einerseits Individualist ist und andererseits, um die Individualität zu entfalten, auf die eigene ihn prägende Kultur als Gemeinschaft angewiesen ist. Das Fundament bleibt damit vorrangig die eigene Kultur. Alles andere folgt ihr nach. Kurz: Ein klares Plädoyer für ein freies reflexives Verhältnis zur eigenen Kultur, Tradition und "Community", die sich in der gelebten Praxis konstituiert. Für den Autor ist der menschliche Geist ein hybrides Produkt, in dem Materie (Gehirn) mit einem unsichtbaren symbolischen Gewebe (Kultur) verwoben ist, woraus ein weit verzweigtes kognitives Netzwerk entsteht. Allein dieser hybride Charakter unseres Geistes habe es der menschlichen Spezies ermöglicht, die Grenzen zu überschreiten, denen die übrigen Säugetiere unterworfen sind. Bewußtsein und Kultur machen den Menschen zum Menschen.
Interessant sind dabei die Unterscheidung der Entwicklungsstufen des Bewußtseins: Die erste Stufe stellt dabei die bewußte Sinneswahrnehmung bei Vögeln und Säugetieren dar, wobei die zweite Stufe bereits die Perzeption von Zeitlichkeit durch einfache Gedächtnisprozesse voraussetzt. Über die dritte und abstrakteste Stufe verfügen nur Primaten mit höheren Gedächtnisleistungen, Selbstwahrnehmung und Metakognition. Der Mensch ist ohne Kultur nicht vollständig und lebt in Symbiose mit ihr. Sie formt den Geist wie ein Töpfer ein Stück Ton. Durch die in kulturellen Gebilden gewachsene Sprache und den entstandenen Symbolismus (u.a. Schrift) ist eine Auslagerung von individuellem Wissen möglich geworden, die zu einer Veränderung des Bewußtseins geführt hat. Donald macht hier deutlich, wie sich Kultur und menschliches Bewußtsein gegenseitig bedingen und miteinander in Co-Evolution seit ca. 40.000 Jahren gewachsen sind. Metakognition bedeutet hier zugleich ein Bewußtsein von historischer Überlieferung der eigenen Geschichte und die klare Geschichtsschreibung als Mittel der gesunden Selbstvergewisserung.
Fazit
Donalds Theorie der Bewußtseinsentstehung weist einen sehr ergiebigen Weg aus den sterilen Debatten zwischen Neuro- und Geisteswissenschaften. Die Betonung liegt dabei auf der Überwindung des Individualbewußtseins hin zu einer Kollektivität des Bewußtseins, wobei Letzteres Kulturleistungen überhaupt erst ermöglicht. Dies war und ist von besonderer Bedeutung für die politische Philosophie. So wies zuletzt der Sozialphilosoph Johannes Heinrichs darauf hin, daß gerade nationale Identität heute bewußter als früher von der kulturellen Systemebene her zu definieren ist. Sonst wären die europäischen Nationen bald mit Recht nichts anderes als Untergliederungen eines europäischen Bundesstaates. Eine Selbstaufgabe der deutschen Kultur wäre deshalb heute weder mehrheitsfähig noch irgendwie wünschenswert. Auf sie führt aber das übliche, unklare Multi-Kulti-Gerede hinaus, gegen das sich nun auch das vorliegende Buch ins Feld führen ließe. Die Unterscheidung von gastgebender (jeweils primärer) Kultur und Gastkulturen (jeweils sekundären Kulturen) stellt die Voraussetzung dar, unter der kulturelle Identität bewahrt werden kann. Mangelnde Unterscheidungsfähigkeit ist derzeit das größte Hindernis internationaler Gastfreundschaft. In dieser Gedankenlosigkeit kommen unzählige Multikulti-Redner mit so genannten "rassistischen" Äußerungen insgeheim überein. Bei Merlin Donalds "Triumph des Bewusstseins" handelt es sich um ein Werk, das einen perspektivisch neuen Baustein auf dem Feld der Bewußtseinsforschung und damit für die Bedeutung der Kultur in allen Bereichen liefert.
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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 18. November 2009

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