Intensive und fachlich fundierte Herangehensweise
Seit längerer Zeit schon schreitet die Trauma-Forschung mit durchaus
ausgreifenden Schritten voran. Nach Militäreinsätzen, nach Geiselnahme und
Kidnapping, nach traumatischen Erlebnissen bieten Therapieformen wie Ego-State
oder EMDR-Techniken zumindest Ansätze zur Behandlung (mit durchaus
beachtenswert guten Erfolgen). Im Rückblick aber, gerade auf die Generation der
Menschen, die den zweiten Weltkrieg erlebt und überlebt haben, die seitdem an
anderen Kriegsorten der Welt Opfer und Täter waren, galt dies über lange
Zeiten hinweg nicht weg. Und auch in der Gegenwart ist noch lange nicht jedem
der Angang einer Traumatherapie möglich, weil es an vielen Orten der Welt noch
immer kaum oder keinen Zugang zu solchen Behandlungsmethoden gibt.
Ein Trauma aber wirkt. Wirkt mit sichtbaren Folgen für den äußeren und
inneren Organismus der Person, beeinflusst die Haltung der Welt gegenüber und
das meist unbewusst und, das setzt Marianna Rauwald zum Thema ihrer Untersuchung
und Darstellung, ist so ein elementarer Faktor dessen, was traumatisierte
Personen weitergeben. In ihr Umfeld hinein und vor allem im Blick auf die
eigenen Nachkommen und deren Prägung. Und so ist auch der grundsätzliche
Einstieg in Werk überaus verständlich, indem es die Rolle der Eltern in der
Gesamtheit ihres Einflusses auf die Bildung der Persönlichkeit durch die
Ergebnisse der modernen Bindungsforschung in den Blick rückt und auch der
Subjektivität des Therapeuten in der therapeutischen Beziehungen eine andere
als bis dato vorherrschende Gewichtung mit zuweist.
Es sind "signifikant transgenerationale Beziehungen, welche die
Persönlichkeit grundlegend prägen und deren weiteren Lebensverlauf
existentiell mitbestimmen. Wobei gerade die Weitergabe unbewusster Inhalte einen
"häufig einschränkenden und entwicklungshemmenden Einfluss" auf die
heranwachsenden Kinder und späteren Erwachsenen ausübt. Was in besonders
schwerwiegendem Maße für "vererbte Narben" in Folge traumatischer
Erfahrungen der Elterngeneration gilt. Die nicht "angeeignet" werden
kann, da es ja eine "externe", nicht selbst integrierbare Erfahrung
darstellt und so gleichermaßen "gegenwärtig, bestimmend, wie unverstanden
und unintegriert" im Raum des eigenen Lebens verbleibt und somit dringlich
einer Bearbeitung zugeführt werden sollte, ja, muss, um dem eigenen Leben
Freiheit von den traumatischen Erfahrungen der Eltern zu ermöglichen.
Ansonsten droht eine ungefilterte und unverarbeitete Weitergabe der durch das
Trauma geprägten Verhaltensweisen und Ängsten über Generationen hinweg. Hier
legt Rauwald im Stil gut verständlich und in der Form nachvollziehbar
strukturiert die Grundlagen der Psychotraumatologie vor Augen, rekurriert auf
den aktuellen Stand der Bindungsforschung, was "sichere Bindungen"
angeht und verweist ebenso auf Erkenntnisse über biologische und
neurobiologische Verarbeitungen traumatischer Erfahrungen.
Wie psychische Traumatisierungen weitergegeben werden und wie diese bearbeitet
werden können ist Schwerpunkt und Thema des Hauptteils des Werks bis hin zu,
frühkindlichen Mutter-Kind Verhältnis mitsamt der Problematik der Verstärkung
alter, traumatischer Ängste im Erleben und umgehend Versuch der unbewussten
Verhinderung autonomer Entwicklungen des Kindes. Anhand griffiger Fallbeispiele
verdeutlicht das Werk immer wieder, wie präsent unbearbeitet traumatische
Erfahrungen der Vorgängergeneration verbleiben und eben nicht
"Geschichte" werden. Um ebenfalls Wege aus der
"Reaktualisierung" elterlicher Traumatisierungen vor Augen zu führen
und damit das Thema des Werks umfassend und von allen Seiten her theoretisch und
praktisch zu beleuchten.
Fazit
Es sind intensive Erfahrungen und destruktive Folgen, die unbearbeitete
Traumatisierungen über Jahrzehnte und Generationen hinweg auslösen und
ständig aktuell halten, die im Werk ihren Widerhall finden und auf konstruktive
Bearbeitungsformen hin geöffnet werden. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre,
nicht nur für im Bereich arbeitende Menschen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 23. Juni 2020 2020-06-23 14:16:55