Vor fast exakt zwei Jahren schrieb der ehemalige deutsche Außenminister Joschka
Fisch bereits ein Buch zum "Abstieg des Westens". Die grundsätzliche
Ausrichtung seiner Botschaft hat er durchaus im aktuell erschienenen Werk
beibehalten. Allerdings lässt sich nun -zwei Jahre später - einiges klarer
sehen:
Ausführlich geht Joschka Fischer auf die derzeitige Position und Politik der
USA in seinem Vorwort ein. Donald Trump, welch Wunder, schneidet dabei in seiner
Kritik eher ungünstig ab. Schwieriger denn je zuvor ist zu greifen, wohin die
Vereinigten Staaten künftig steuern. Ihre Position als "Weltpolizist"
und Garantiemacht haben sie abgegeben, ohne jedoch auf den Anspruch hierauf
wirklich zu verzichten.
Alle weiteren inhaltlichen Betrachtungen in diesem hochinteressant und fesselnd
geschriebenem Buch, beschäftigen sich in erster Linie mit der Stellung der
europäischen Staaten, oder genauer gesagt: den Mitgliedsländern der
Europäischen Union. Was bedeutet es, den traditionellen Verbündeten USA bei
einem Paradigmenwechsel zu erleben, ohne tatsächlichen Einfluss hierauf. Wie
werden "die Europäer" reagieren auf den geradezu unaufhaltsamen
Vormarsch Chinas zur Weltmacht Nummer 1?
Mehrere Faktoren werden näher betrachtet: wie intensiv und wie rasch finden die
Staaten der EU zusammen und wie gelingt die Kooperation mit den großen Mächten
an den geographischen (aber nicht rein geographischen) Rändern Europas:
Russland und Türkei eine konfliktarme Kooperation? Die Bedeutung der
künstlichen Intelligenz, der Digitalisierung im Zusammenhang mit macht- und
geopolitischen Erwägungen könnten in eine unheilvolle Zukunft weisen. China
als Weltmacht lebt vor, dass Demokratie und Wohlstand durch aus keine
naturgegebene Symbiose darstellen. Und auch die USA als Hi-Tech-Nation wird
alles daran setzen, diesen für die Zukunft immer bedeutsameren Bereich nicht
aus der Hand zu geben. Europa ist gefordert - und zwar schnell!
Fazit
Wer den Wandel des einstigen "APO-Kämpfers" hin zum deutschen
Außenminister in einer rot-grünen Bundesregierung erlebt hat, sollte sich
eigentlich nicht wundern. Als Außenminister zeigte Fischer, dass er
diplomatisch geschickt, aber auch konsequent sein Handwerk verstand. Dies
Hintergrundwissen nutzt er als Autor und es nützt ihm zur Schärfung seiner
politischen Vision: Europa muss sich emanzipieren und das mit allen
Konsequenzen! Nur so wird es gelingen souverän zu bleiben und aufgrund der
günstigen Ausgangslage im ökonomischen und technologischen Sektor ein
gewichtiges Wort in der "großen Politik" mitzusprechen. Zusätzlich
aber dürfen die Europäer nicht vergessen, dass sie den Sektor
"Machtpolitik" (sprich: Rüstung) ernst nehmen und nachbessern.
Nicht zuletzt sieht er ansonsten die Gefahr im Machtpoker insbesondere zwischen
den USA und China zerrieben zu werden; und es gibt ja noch andere
"Player", die hier ein Wörtchen mitreden wollen (z.B. Russland,
Indien, Pakistan usw.). Mit dem vorliegenden Buch gelingt Joschka Fischer aus
meiner Sicht ein beeindruckendes und überzeugendes Statement, nicht nur, damit
wir in Europa auch künftig unseren hohen Lebensstandard erhalten können,
sondern auch um die demokratischen Werte nicht aufs Spiel zu setzen!
Ein lohnens- und lesenswertes Buch!
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
[Profil]
veröffentlicht am 18. April 2020 2020-04-18 15:57:41